"Über mehrere Zäune gesprungen"
In der "Kronen Zeitung" sprach Kampusch im Interview über ihre dramatische Flucht.
Sie wollte schon einmal vor ihrem endgültigen Entkommen ihrem Entführer Wolfgang Priklopil entfliehen.
"Einmal wollte ich am Gürtel aus dem Auto springen. Aber er hat mich festgehalten und ist dann mit dem Auto so gefahren, dass ich an die Wände schlug", erklärte Kampusch in dem Interview mit der "Kronen Zeitung". Im ersten Teil einer geplanten Serie berichtet sie darüber hinaus über ihre Probleme, als sie am 23. August aus der Gefangenschaft floh.
So sei ihr die Zeit zwischen ihrem Hilferuf bei der Nachbarin und dem Eintreffen der Polizei wie eine Ewigkeit vorgekommen: "Ich bin einfach in diese Schrebergartensiedlung gerannt, über mehrere Zäune gesprungen, ich bin in Panik im Kreis gerannt, um zu sehen, ob irgendwo ein Mensch ist."
Frau ließ Kampusch nicht in Wohnung
Die erste Frau, die sie traf, habe einfach nicht verstanden, was geschehen sei. "Ich versteh' das nicht, ich versteh' das nicht, immer wieder hat sie das gesagt." Die Frau habe Kampusch nicht in ihre Wohnung gelassen, gleichzeitig fürchtete die 18-Jährige, von dem Verbrecher doch noch entdeckt zu werden: "Ja, und ich durfte mich nicht einmal hinter einem Busch verstecken. Ich hatte die Furcht, dass dieser Mensch diese Frau umbringt, oder mich, oder beide."
"Warum ist mir das passiert?"
Auch gegenüber "News" machte Kampusch deutlich, wie sehr der Gedanke an Flucht ihr Leben prägte. "Ich dachte nur an Flucht", sagt Kampusch gegenüber "News". Die junge Frau spricht erstmals über ihre achtjährige Gefangenschaft in einem Verlies unter einer Garage in Strasshof.
"Ich habe mich immer und immer wieder gefragt, warum das mir - unter den vielen Millionen Menschen ausgerechnet mir - passieren musste."
Weiters sagte Kampusch gegenüber Reporter Alfred Worm: "Ich hatte immer den Gedanken: Ich bin sicher nicht auf die Welt gekommen, dass ich mich einsperren und mein Leben vollkommen ruinieren lasse. Ich bin verzweifelt an dieser Ungerechtigkeit. Ich habe mich immer gefühlt wie ein armes Hendel in einer Legebatterie. Sie haben sicher im Fernsehen und den Medien mein Verlies gesehen. Also wissen Sie, wie klein es war. Es war zum Verzweifeln."
Flucht "war spontan"
Ihre Flucht sei nicht konkret geplant gewesen, so Kampusch gegenüber "News". Wörtlich heißt es: "Nein, die war ganz spontan. Ich bin dort hinten beim Gartentor rausgerannt, und mir ist schwindelig geworden. Ich fühlte jetzt erstmals, wie schwach ich wirklich war. Trotzdem hat es gepasst. Alles in allem ist es mir am Tag der Flucht gut gegangen. Seelisch, körperlich - und keine Herzprobleme." An einer anderen Stelle des Interviews hatte Kampusch über Herzbeschwerden während ihrer Gefangenschaft berichtet.
"News"-Gespräch im AKH
Das Gespräch fand laut "News" im Wiener AKH statt. Dort werde Kampusch, die in den Jahren ihrer Gefangenschaft keine ärztliche Betreuung hatte, systematisch untersucht. Kardiologen klären auch von ihr im Interview angedeutete Herzprobleme ab.
Sie habe eines Tages - vor ihrer Flucht - "Herzrasen, Herzflattern, Rhythmusstörungen", gehabt - "im Sinne, dass es auf einmal stoppt und dann weiterpumpert. Mir ist schwindlig geworden; ich hab nichts mehr gesehen zum Beispiel, da war alles verschwommen. Das lag wahrscheinlich auch am Nahrungsmangel die ganze Zeit."
"Schnell ins soziale Leben gefunden"
Abgesehen davon, "dass ich mich sofort verkühlt und ich mir einen Schnupfen eingefangen habe, lebe ich jetzt ziemlich normal", sagte Kampusch auf die Frage nach ihren Gefühlen in der neuen Freiheit. "Ich habe mich sehr schnell wieder ins soziale Leben gefunden. Erstaunlich, wie rasch das ging. Ich wohne und lebe jetzt mit anderen Menschen zusammen - und habe damit keine Schwierigkeiten."
Jeden Tag auch oben
Über die Vergangenheit sagte die 18-Jährige u. a., sie habe ihren Raum, ein Verlies unter der Garage des Einfamilienhauses von Priklopil in Strasshof a. d. Nordbahn in Niederösterreich, verlassen dürfen: "Doch, ich war jeden Tag oben und hab mit ihm irgendetwas gemacht. Irgendwelche ganz alltägliche Kleinigkeiten halt. Aber sofort danach bin ich wieder hinuntergeschickt worden. Zum Schlafen. Zum Leben. Wenn er weg musste untertags." Besonders schlimm sei es gewesen, wenn Besuch oder "seine Mutter übers Wochenende gekommen ist".
"Will nicht über einen Toten schimpfen"
"Ich hatte die Wahl, allein oder in seiner Gesellschaft zu sein", sagte Kampusch. "Und diese Alternativen sind wohl nicht sehr berauschend." Details wolle sie zu diesem Thema nicht mit der Öffentlichkeit teilen. "Sie sollten mit mir hier nicht so sehr über Herrn Priklopil reden, weil er sich hier ja nicht mehr verteidigen kann ... Über einen Toten zu schimpfen finde ich vor allem wegen seiner Mutter nicht sehr schön."
ORF-Interview: Wie geht es weiter in ihrem Leben?
Im ORF wird der Schwerpunkt des mit Spannung erwarteten Fernsehinterviews die Zukunft von Kampusch sein.
Mit dem Gang an die Öffentlichkeit wollte man auch den zahlreichen Spekulationen und Vermutungen um ihr Schicksal "den Wind aus den Segeln nehmen", wie Reporter Christoph Feurstein sagte. Der 34- jährige Journalist führte das erste TV-Interview mit der 18-Jährigen. Er hofft, "dass die Menschen sagen, jetzt haben wir ihr Gesicht gesehen, sie hat ihre Geschichte erzählt, jetzt lassen wir Natascha Kampusch ins Leben gehen".
Feurstein hatte seit der Entführung der damals Zehnjährigen im März 1998 immer wieder über ihren Fall berichtet.
Interview um 20.15 Uhr in ORF2
Das Interview mit Kampusch wird um 20.15 Uhr in ORF2 im Zuge einer "Thema spezial"-Sendung, "Natascha Kampusch - das erste TV-Interview", in voller Länge zu sehen sein.
Im Anschluss an das erste Interview von Kampusch mit einem elektronischen Medium (der ORF verbreitet das Interview in Österreich exklusiv in Fernsehen, Radio und Internet) steht ein "runder Tisch" zum Thema "Der Fall Natascha Kampusch" auf dem Programm.
Dazu eingeladen sind unter anderen Jugendanwältin Monika Pinterits, der Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich und der Präsident der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Udo Jesionek.
"Erlöse an Frau Kampusch"
Der Kaufmännische Direktor des ORF, Alexander Wrabetz, erläuterte im Vorfeld des Interviews, dass für den ORF von Anfang an die Prämisse gegolten habe, "gemäß seinen journalistischen Standards für ein Interview kein Geld zu bezahlen".
"Das ist auch in diesem Fall nicht geschehen. In Bedachtnahme auf die besonderen Umstände dieses Falles hat sich der ORF entschlossen, den internationalen Vertrieb des Interviews für Natascha Kampusch unentgeltlich abzuwickeln und Frau Kampusch alle Erlöse zukommen zu lassen", so Wrabetz.
Spendenkonto für Kampusch
Der ORF hat ein Spendenkonto für Natascha Kampusch eingerichtet. Der Gesamterlös dieser Spendenaktion kommt zur Gänze Frau Kampusch zugute und steht zu ihrer freien Verfügung:
BA-CA (BLZ 12.000)
Kontonummer: 50.000.010.001
Kennwort: Natascha Kampusch Foundation
Moderiertes Forum zum Fall Kampusch
Entsetzen, Fassungslosigkeit und Freude - selten sind so unterschiedliche Gefühle so nah beieinander gelegen wie im Fall von Natascha Kampusch. Hier können Sie sagen, was Sie denken - mehr dazu in wien.ORF.at.