"Lassen wir Natascha ins Leben gehen"

ORF-Interviewer Feurstein hofft, dass Natascha Kampusch nach den Interviews die Möglichkeit hat, ohne die Verfolgung durch Kameras "ins Leben zu gehen".
Leicht verschnupft, aber sehr bestimmt und selbstbewusst wird den TV-Zusehern Natascha Kampusch heute bei ihrem ersten Fernsehinterview für den ORF (20.15 Uhr, ORF2) entgegentreten.

Ihr Interviewer, "Thema"-Redakteur Christoph Feurstein, berichtete vorab, was man vom Interview zu erwarten habe, aber auch, was man bedenken müsse, wenn man Kampuschs Äußerungen hört.

Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen
Feuerstein berichtete in der ZIB2 von einem Kommunikationsbedürfnis der jungen Frau, das von Anfang an, seit ihrer Selbstbefreiung von ihrem Peiniger Wolfgang Priklopil, bestanden habe.

Ihrer Mutter, so Feurstein, habe Kampusch von Anfang an gesagt, dass sie selbst "ihre Geschichte" erzählen wolle. Zunächst tat Kampusch das in brieflicher Form, verlesen durch einen ihrer Betreuer vor eineinhalb Wochen. Mittlerweile ist die Bereitschaft zum Fernsehinterview und zum Gespräch mit zwei Printmedien ("Kronen Zeitung", "News") gereift.

Voller Wünsche für die Zukunft
Kampusch sei, so Feuerstein, "sehr energiegeladen, sehr aktiv und voller Wünsche für die Zukunft". Er habe eine "sehr selbstbewusste, intelligente Frau" getroffen, sagte Feurstein, der seit der Entführung der damals Zehnjährigen im März 1998 immer wieder über ihren Fall berichtet hatte.

Die 18-Jährige habe ihn mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Charakter beeindruckt und erstaunt. Man dürfe sich aber nicht täuschen lassen von ihrem Auftreten und müsse im Hinterkopf immer die Situation behalten, in der sie mehr als acht Jahre lang gelebt habe.

"Stille im Verlies"
Er habe selbst eine "Gänsehaut bekommen" in Momenten, als sie vom Morgen der Entführung erzählt habe oder von der "unheimlichen Stille" in dem winzigen Verlies im Haus ihres Entführers.

Gescheiterte Kontaktaufnahme
Erschüttert hätten ihn ihre Aussagen, wonach sie bei den wenigen Gelegenheiten, in denen ihr Entführer sie etwa mit zum Einkaufen genommen hatte, mehrmals Menschen "mit den Augen um Hilfe gebeten" habe: "Sie sagt, sie hat versucht, Menschen auf sich aufmerksam zu machen, und niemand hat geholfen."

Über acht Jahre entführt
Kampusch war am 2. März 1998 auf dem Weg zur Schule von dem Nachrichtentechniker Priklopil entführt worden. Nach mehr als acht Jahren in seiner Gewalt gelang ihr am 23. August die Flucht vor dem 44-Jährigen, der sich wenig später vor einen Zug warf.

Seitdem wird sie an einem geheim gehaltenen Ort medizinisch und psychologisch betreut. Nach dem Urteil ihrer Betreuer ist Kampusch schwer traumatisiert und muss noch mindestens ein Jahr lang intensiv psychologisch betreut werden.

Appell an die Medien
Feurstein sagte, er selbst habe den Eindruck gewonnen, die 18-Jährige wollte ihre Erlebnisse jetzt selbst schildern. Der Zeitpunkt sei von dem Betreuerteam auch gewählt worden, um die Aufregung um ihre Person zu beruhigen: "Wir hoffen, dass die Menschen sagen, jetzt haben wir ihr Gesicht gesehen, sie hat ihre Geschichte erzählt, jetzt lassen wir Natascha Kampusch ins Leben gehen."

Enormes Medieninteresse
Rund 300 internationale Medien hatten sich für die Exklusivrechte an einem Interview mit der jungen Frau interessiert und nach Medienberichten sechsstellige Summen geboten.

Kampuschs Medienberater Dietmar Eckert hatte ein Paket geschnürt, mit dem nach seinen Angaben sowohl das Bedürfnis der Öffentlichkeit befriedigt als auch die Zukunft der jungen Frau gesichert werden soll.

Interview um 20.15 Uhr in ORF2
Das Interview mit Kampusch wird um 20.15 Uhr in ORF2 im Zuge einer "Thema spezial"-Sendung, "Natascha Kampusch - das erste TV-Interview", in voller Länge zu sehen sein.

Im Anschluss an das erste Interview von Kampusch mit einem elektronischen Medium (der ORF verbreitet das Interview in Österreich exklusiv in Fernsehen, Radio und Internet) steht ein "runder Tisch" zum Thema "Der Fall Natascha Kampusch" auf dem Programm.

Dazu eingeladen sind u. a. die Eltern von Kampusch, Jugendanwältin Monika Pinterits, Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich und ein Vertreter des Vereins Neustart.

Erste Ausschnitte aus dem Interview zeigt die ZIB1. Der Fall Kampusch ist auch "Tagesthema" in "Willkommen Österreich": Feurstein ist ab 17.05 Uhr im Studio zu Gast und schildert seine Eindrücke vom Interview. Über das erste TV-Interview mit Kampusch berichten auch die ZIB2 und die ZIB3.

"Erlöse an Frau Kampusch"
Der Kaufmännische Direktor des ORF, Alexander Wrabetz, erläuterte im Vorfeld des Interviews, dass für den ORF von Anfang an die Prämisse gegolten habe, "gemäß seinen journalistischen Standards für ein Interview kein Geld zu bezahlen".

"Das ist auch in diesem Fall nicht geschehen. In Bedachtnahme auf die besonderen Umstände dieses Falles hat sich der ORF entschlossen, den internationalen Vertrieb des Interviews für Natascha Kampusch unentgeltlich abzuwickeln und Frau Kampusch alle Erlöse zukommen zu lassen", so Wrabetz.

Spendenkonto für Kampusch
Der ORF hat ein Spendenkonto für Natascha Kampusch eingerichtet. Der Gesamterlös dieser Spendenaktion kommt zur Gänze Frau Kampusch zugute und steht zu ihrer freien Verfügung:

BA-CA (BLZ 12.000)
Kontonummer: 50.000.010.001
Kennwort: Natascha Kampusch Foundation