Zum ersten Mal hatte sich die junge Frau vor etwas mehr als einer Woche an die Öffentlichkeit gewandt, in einem Brief, verlesen von einem ihrer psychologischen Betreuer, dem Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich.
Kampusch sprach darin selbstbewusst über ihre Vergangenheit. Sie erinnerte aber auch daran, dass die Entführung durch Wolfgang Priklopil ihr ganz eigener Fall sei und die Öffentlichkeit von vielen Details nie erfahren werde - diese seien zu intim, so Kampusch damals.
Entscheidung für drei Interviews
Mittlerweile hat sich Kampusch entschieden, drei Interviews zu geben: für das Fernsehen dem ORF, für die Printmedien der "Kronen Zeitung" und dem Magazin "News".
Mit den Interviews wird auch das Rätselraten über das Aussehen Kampuschs beendet sein. Die Printmedien durften Kampusch fotografieren.
"Entfernte Ähnlichkeit" mit Computerbild
Im Interview mit der "Thema"-Redaktion des ORF werde ihr Gesicht weder verfremdet noch verdeckt sein, kündigte "Thema"-Redakteur Christoph Feurstein, der Kampusch für den ORF interviewte, Dienstagabend an: "Man wird sie sehen." Mit dem allseits bekannten Computerbild habe die junge Frau nur "entfernte Ähnlichkeit".
Kampusch entscheidet über Rahmenbedingungen
Welche Bilder von der jungen Frau letzlich an die Öffentlichkeit kommen, auch wie sie sich im TV-Interview präsentiert, all diese Entscheidungen lagen und liegen bei Kampusch selbst. Sie bestimmte den Ort des Interviews und die Personen, die dabei sein durften.
"Interviewt jemanden, der in Extremsituation ist"
"Man interviewt hier jemanden, der in einer Extremsituation ist. Und da muss man einfach alles, was diese Person sich wünscht und vorstellt, auch respektieren", unterstrich Feurstein.
"Stabil und selbstbewusst"
Natürlich könne niemand in sie hineinsehen, aber "auf mich hat sie einen stabilen und selbstbewussten Eindruck gemacht", so der ORF-Reporter weiter. Kampusch sei "etwas verschnupft" gewesen, aber "sehr energiegeladen, sehr aktiv und voller Wünsche für die Zukunft". Unter anderem plane die junge Frau, die Matura nachzuholen.
Die 18-Jährige habe in dem rund zweistündigen Gespräch, unterbrochen von mehreren Pausen, "aus dem Bauch heraus" erzählt. "Sie hat entschieden, worüber sie sprechen wollte. Es war nicht wie ein Verhör, sondern ein angenehmes Gespräch." Der Wunsch, an die Öffentlichkeit zu gehen, sei von Kampusch selbst gekommen.
"Mit Augen um Hilfe gebeten"
Er habe selbst eine "Gänsehaut bekommen" in jenen Momenten, als die junge Frau vom Morgen der Entführung erzählte oder von der "unheimlichen Stille" in dem winzigen Verlies im Haus ihres mutmaßlichen Entführers, so Feurstein.
Erschüttert hätten ihn ihre Aussagen, wonach sie bei den wenigen Gelegenheiten, in denen ihr Entführer sie etwa mit zum Einkaufen genommen hatte, mehrmals Menschen "mit den Augen um Hilfe gebeten" habe: "Sie sagt, sie hat versucht, Menschen auf sich aufmerksam zu machen, und niemand hat geholfen."
Der ORF-Redakteur, der seit der Entführung Kampuschs mehrmals über den Fall berichtet hatte, hatte für das Gespräch mit der heute 18-Jährigen rund 50 Fragen zusammengestellt, die zuvor von Kampusch und ihrem Betreuungsteam durchgesehen wurden.
Fragen über eventuelle sexuelle Beziehungen blieben ausgeschlossen. Der Blick in die Zukunft wird der Schwerpunkt des TV-Gesprächs sein.
Interview um 20.15 Uhr in ORF2
Das Interview mit Kampusch wird am Mittwochabend um 20.15 Uhr in ORF2 im Zuge einer "Thema spezial"-Sendung, "Natascha Kampusch - das erste Interview", in voller Länge zu sehen sein.
Im Anschluss an das erste Interview von Kampusch mit einem elektronischen Medium (der ORF verbreitet das Interview in Österreich exklusiv in Fernsehen, Radio und Internet) steht ein "runder Tisch" zum Thema "Der Fall Natascha Kampusch" auf dem Programm.
Dazu eingeladen sind u. a. die Eltern von Kampusch, Jugendanwältin Monika Pinterits, Kinder- und Jugendpsychiater Friedrich und ein Vertreter des Vereins Neustart.
Erste Ausschnitte aus dem Interview zeigt die ZIB1. Der Fall Kampusch ist auch "Tagesthema" in "Willkommen Österreich": Feurstein ist ab 17.05 Uhr im Studio zu Gast und schildert seine Eindrücke vom Interview mit Frau Kampusch. Über das erste TV-Interview mit Kampusch berichten auch die ZIB2 und die ZIB3.
"Erlöse an Frau Kampusch"
Der Kaufmännische Direktor des ORF, Alexander Wrabetz, erläuterte im Vorfeld des Interviews, dass für den ORF von Anfang an die Prämisse gegolten habe, "gemäß seinen journalistischen Standards für ein Interview kein Geld zu bezahlen".
"Das ist auch in diesem Fall nicht geschehen. In Bedachtnahme auf die besonderen Umstände dieses Falles hat sich der ORF entschlossen, den internationalen Vertrieb des Interviews für Natascha Kampusch unentgeltlich abzuwickeln und Frau Kampusch alle Erlöse zukommen zu lassen", so Wrabetz.
Spendenkonto für Kampusch
Der ORF hat ein Spendenkonto für Natascha Kampusch eingerichtet. Der Gesamterlös dieser Spendenaktion kommt zur Gänze Frau Kampusch zugute und steht zu ihrer freien Verfügung:
BA-CA (BLZ 12.000)
Kontonummer: 50.000.010.001
Kennwort: Natascha Kampusch Foundation