"Strukturelle Ähnlichkeiten"

Eine Schau in Magdeburg und Berlin zeigt das 850 Jahre existierende Heilige Römische Reich aus europäischer Perspektive.
"Wir erklären, dass Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen": Mit diesen Worten Kaiser Franz' II. hörte vor 200 Jahren das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf zu existieren. Damit endete ein Gemeinwesen, das in seiner langen Geschichte einen großen Teil Mitteleuropas umfasste.

Eine große Doppelausstellung in Deutschland zeichnet diese Geschichte jetzt nach: Die Schau "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation", die nun in Berlin und Magdeburg eröffnet wurde, umfasst über 1.100 Exponate von 170 Leihgebern aus 13 europäischen Ländern und den USA.

850-jährige Geschichte
Die erste Gesamtausstellung zum Heiligen Römischen Reich präsentiert die 850-jährige Geschichte der deutschen Kaiser - von der Zeit Ottos des Großen im Mittelalter bis zum Untergang des Reiches 1806 mit den Napoleonischen Kriegen.

Im Mittelpunkt der Magdeburger Ausstellung steht die Entstehung des Reichs um 962 bis zum Ausgang des Mittelalters.

Der zweite Teil geht unter dem Titel "Altes Reich und neue Staaten" der Reichsgeschichte von der frühen Neuzeit bis zum Rücktritt des letzten Kaisers Franz II. nach - ausgerechnet an einem "reichsfernen Ort wie Berlin, an dem nie ein römischer Kaiser deutscher Nation weilte", wie die "Welt" jüngst feststellte.

"Nicht mehr unter Nationalismusverdacht"
"Erst durch den Fall des Eisernen Vorhangs konnte man überhaupt daran denken, ein solches Thema, das geografisch heute große Teile Europas umfasst, darunter Gebiete der früheren Ostblockstaaten, zu präsentieren", erklärt der Direktor des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, Matthias Puhle. "Zudem hat sich das Nationalgefühl verändert, und wir stehen nicht mehr unter Nationalismusverdacht."

Vom Europarat unterstützt
Noch vor zehn Jahren hätten zahlreiche europäische Staaten ein Projekt "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" argwöhnisch aufgenommen.

"Heute sind die Europäer in unserer Ausstellung versammelt, wir zeigen den großen historischen Bogen auf und dokumentieren in einer Abteilung auch die Nachwirkungen des Reiches auf die einzelnen Nationen im 19. und 20. Jahrhundert", so Puhle über die vom Europarat unterstützte Schau.

"Die europäische Perspektive ist uns sehr wichtig", ergänzt die Kuratorin der Berliner Schau, Jutta Götzmann. "Bei allen Unterschieden hatte das Heilige Römische Reich strukturelle Ähnlichkeiten mit der Europäischen Union mit ihrer Vielfalt der Nationen und Sprachen. Bei der Bewältigung der Probleme kann der Rückblick auf die Geschichte helfen."

Dreißigjähriger Krieg als "Randereignis"?
Betrachte man die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches unter diesem Aspekt, ignoriere man aber auch die durch die Reformation entstandene Glaubensspaltung und den preußisch-österreichischen Gegensatz, kritisiert die "Welt".

"Dem unbedarften Besucher des Berliner Ausstellungsteils könnte es passieren, dass er den Dreißigjährigen Krieg oder die Kriege Friedrichs des Großen für Randereignisse hält."

Schutzmacht der Kirche
Als Otto I. 962 von Papst Johannes XII. in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, ging es in erster Linie um eine sakrale Legitimation. Der neue Kaiser fühlte sich als göttlich auserkorener Beschützer der Kirche.

Das Ottonenreich wurde damit zum Heiligen Römischen Reich, auch wenn es erst etwa zwei Jahrhunderte später so bezeichnet wurde. Der Zusatz "Deutscher Nation" kam ohnehin erst um 1450 hinzu.

Im Gegensatz zu England und Frankreich war das Reich kein wirklicher Staat, sondern eine Art loser Staatenbund aus größeren und kleineren Territorien - die Vorstellung einer Nation im heutigen Sinne kam erst im 18. Jahrhundert zu Bedeutung - in Deutschland mit Österreich, den Niederlanden, der Schweiz, Tschechien, Italien und auf dem Balkan. Der Streit um den Charakter dieses Reiches prägte seine Geschichte.

Maximilian als Bindeglied
Während die Konzeption der Magdeburger und Berliner Doppelausstellung Raum für Debatten bietet, ist die Auswahl der Exponate unwidersprochen erstklassig.

Seit 2002 sind beide Häuser mit den Vorbereitungen beschäftigt. "Von vornherein war klar, dass ein solches Großunternehmen nicht von einem Museum allein geschultert werden kann", sagt Götzmann.

Das Bindeglied zwischen beiden Ausstellungen ist Maximilian. "In Magdeburg erscheint er als der letzte Ritter, in Berlin als Kaiser", erläutert die Historikerin.

Codex Manesse in Heidelberg
170 Museen aus 13 europäischen Ländern und den USA haben Leihgaben bereitgestellt. Die Kostbarkeiten der Ausstellung umfassen Goldschmiedearbeiten, Sakralutensilien, Grafiken, Gemälde, Skulpturen, Rüstungen, Münzen, Urkunden und Bücher.

In Magdeburg ist auf 2.000 Quadratmetern unter anderem die berühmte Heidelberger Liederhandschrift, der "Codex Manesse", zu sehen. Sie enthält prachtvolle Darstellungen des Minnedichters Walther von der Vogelweide, des Tannhäusers und Kaiser Heinrichs VI.

"Grundgesetz" von Karl IV.
Weitere herausragende Objekte sind die aus Prag geschickte Goldene Bulle, das unter Karl IV. verfasste "Grundgesetz" des Reiches und die Magdeburger Elfenbeintafeln aus dem New Yorker Metropolitan Museum.

In der Berliner Schau mit insgesamt 1.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche wird zum Beispiel eine Bronzebüste Karls V. aus Windsor Castle gezeigt, die einst dem Herzog von Alba gehörte. Von der österreichischen Burg Forchtenstein kommt eine wertvolle Tischuhr in Form eines kaiserlichen Doppeladlers.

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