ÖGB gegen Scheinselbstständigkeit

Mit unfairen Mitteln würden etliche Betriebe Arbeitnehmer um ihre Absicherung bringen, so AK und ÖGB.
Immer mehr Menschen befinden sich unfreiwillig in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, also freien Dienstverträgen oder Werkverträgen - obwohl ihnen eigentlich reguläre Arbeitsverträge zustünden: "Ich geb' meinen Leuten einen Werkvertrag und schon bin ich vom Arbeitsrecht frei." So skizzieren Arbeiterkammer (AK) und ÖGB die Einstellung vieler Unternehmer.

Das Phänomen "Scheinselbstständigkeit" tauche quer durch alle Wirtschaftsbereiche auf. "Eine durchaus fatale Situation", befanden der leitende ÖGB-Sekretär Richard Leutner und Christoph Klein von der AK-Wien am Donnerstag bei einer Pressekonferenz und forderten eine Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs.

Keine Ansprüche
Österreichweit befinden sich laut den Arbeitnehmervertretern derzeit ungefähr 140.000 Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen - eine Zahl, die in den vergangenen Jahren rapide angestiegen sei.

Sowohl die 72.000 "freien Dienstnehmer", als auch die 67.000 auf Werkvertragsbasis arbeitenden "Neuen Selbstständigen" haben keine arbeitsrechtliche Absicherung. Für sie gilt weder der Mindestlohn, noch haben sie Anspruch auf Urlaub, Krankenstand, Karenzzeit, Kündigungsfristen oder Abfertigung.

Rechtliche Grauzone
Wie viele davon tatsächlich unter Scheinselbstständigkeit fallen, weil sie eigentlich die Voraussetzungen eines herkömmlichen Arbeitsvertrags erfüllen, könne nur gemutmaßt werden.

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zeige aber, dass die meisten durch die Instanzen geführten Verfahren am Ende zu Gunsten der Arbeitnehmer ausgehen, sagte Klein.

Umgehung mit unfairen Mitteln
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen selbstständiger und unselbstständigerer Arbeit ist die "persönliche Abhängigkeit" vom Arbeitgeber. Der Umfang dieser Abhängigkeit entscheidet, ob ein klassisches Arbeitsverhältnis vorliegt. Mit unfairen Mitteln, so ÖGB und AK, werde immer wieder versucht, die Regelung zu umgehen.

Als Beispiele brachten sie etwa den Werkvertrag eines Kochs, dem laut Vertrag "freie Zeiteinteilung" zusteht, obwohl er in Wahrheit mittags und abends im Restaurant kochen muss, und den einer Hilfsarbeiterin, deren Unabhängigkeit laut Vertrag darin besteht, dass sie sich jederzeit vertreten lassen könne. "Solche Beispiele finden wir in allen Branchen", sagte Klein.

Sozialpolitik "muss aufwachen"
"Die Sozialpolitiker sitzen auf einer Zeitbombe", lautet das drastische Resümee der Arbeitnehmervertreter. "Es geht uns nicht darum, aus jedem freien Unternehmer einen Arbeitnehmer zu machen", sagte Leutner.

Im Fokus müssten aber jene "Neuen Selbstständigen" und freien Dienstnehmer sein, die in Wahrheit Unselbstständige seien. "Angesichts der neuen Zahlen muss das Parlament in der kommenden Legislaturperiode aufwachen", sagte Leutner.

Überalterter Arbeitnehmerbegriff
AK und ÖGB fordern, den Arbeitnehmerbegriff zu überdenken und neu zu definieren. Die aktuelle Definition stammt aus dem Jahr 1916. Neben der persönlichen Abhängigkeit müsse auch die wirtschaftliche Abhängigkeit eine Rolle spielen. Unternehmen, die vorsätzlich durch freie Dienst- oder Werkverträge reguläre Arbeitsverhältnisse umgehen, sollen stärker zur Kasse gebeten werden.

Im Rahmen des Projekts "Flex-Power" würden ÖGB und AK Beratung und Forschung speziell für atypisch Beschäftigte anbieten, sagte Leutner und betonte, dass eine ÖGB-Mitgliedschaft auch freien Dienstnehmern und Neuen Selbstständigen möglich sei.

Callcenter wollen 10.000 Jobs abziehen
Mit einer Drohung der österreichischen Callcenter-Betreiber erhält die Thematik noch weiter Brisanz: Sie drohen wegen einer geplanten Vereinbarung, wonach normal beschäftigte Mitarbeiter künftig angestellt werden müssen, mit dem Abzug von tausenden Arbeitsplätzen aus Österreich.

Von 30.000 Call-Center-Jobs in Österreich dürften 10.000 ins Ausland verlagert werden, sagte Thomas Kloibhofer, Chef des Unternehmens Competence Call Centers (CCC), in einem Interview mit der "Presse" (Freitag-Ausgabe).

Die Sozialpartner verhandeln seit Ende Juni über eine solche Vereinbarung. Laut Gewerkschaft hat die österreichische Callcenter-Branche rund 10.000 freie Mitarbeiter, wovon rund 8.000 wie Angestellte beschäftigt seien sollen. Wirtschaftskammer und Gewerkschaft haben angekündigt, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber weitgehende Rechtssicherheit schaffen zu wollen.

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