In "Pop essen Mauer auf" stellt der deutsche Schriftsteller Stefan Maelck genau diese bizarre These auf. Die rasend schnelle, bissige Satire - Ende Juli bei Rowohlt erschienen - liest sich wie eine Persiflage auf die gesamte Popgeschichte.
Etwas, das "klingt, wie Alkohol wirkt"
Alles soll damit begonnen haben, dass Erich Honecker an der Oder ein "Rock-'n'-Roll-Labor" einrichten ließ. Unter dem Deckmantel eines Petrolchemischen Kombinats entwickelte die Stasi dort Musik, die die Jugend des Westens zum Drogenkonsum animieren und zur Rebellion gegen den Kapitalismus anstacheln sollte.
Ziel des perfiden Plans war es, einen "zersetzenden, dekadenten Sound" zu erschaffen. Ein Mittel, um "den Westen von innen her aufzuweichen". Man wollte etwas erfinden, das "so klingt, wie Alkohol wirkt".
Akte Pop
Maelck, der bereits in seinem Erstlingswerk "Ost Highway" den Detektiv Hank Meyer "in den Stasi-Sumpf schickte"(so die "FAZ" damals), nimmt in "Pop essen Mauer auf" einmal mehr den Kommunismus aufs Korn.
Held der Geschichte ist der Musikjournalist Ludger Bauer, der auf der Suche nach einer sagenumwobenen und verschollen geglaubten Stasi-Akte ist. Diese Akte soll sämtliche Details über die Enstehung des Pop enthalten - bis hin zu den geheimen Bauplänen für Dieter Bohlen.
Honeckers Pop-Gruselkabinett
Als Bauer die Akte schließlich in die Finger bekommt, beginnt für ihn und den Leser eine surreale Reise quer durch die Popgeschichte. Stars und Sternchen des Musikbusiness geben sich und der versammelten DDR-Politprominenz die Klinke in die Hand.
Von den Scorpions bis zu den Sex Pistols, von Peter Maffay über Lou Reed zu Frank Zappa und Gary Glitter, von Falco bis Westernhagen, von A-ha bis Genesis - sie alle sollen Kreaturen aus den Laboratorien der Stasi sein.
Fast niemand bleibt verschont
Ohne jeden Respekt verändert Maelck Biografien und macht Personen aus Pop- und Zeitgeschichte zu Marionetten in einem irrwitzigen Netz aus realen und fiktiven Ereignissen.
Bewusst verschont hat Maelck lediglich Bob Dylan und Van Morrison, denn die seien "bei aller Blasphemie und allem Zynismus" - und davon enthält "Pop essen Mauer auf" reichlich - unantastbar, so der Autor im Interview mit dem "Donaukurier".
"Nicht gottes- und götzenfürchtig"
"Ich habe die höchste Achtung vor dem Rock 'n' Roll. Deshalb habe ich das Erzählen auch an die Figur Ludger Bauer übertragen, damit ich in Ruhe weiter meine AC/DC-Platten hören kann", so Maelck im Interview. Aber "Satire darf nun mal nicht allzu gottes- und götzenfürchtig daherkommen, sonst funktioniert sie nicht".
Elvira, the pelvis
Der beste Beweis dafür ist das Kapitel über Elvis Presley. In Maelcks Version der Popgeschichte ist Elvis eine Spionin namens Elvira Prassler. Vom Chefstrategen der Operation Pop, Oberst Duttweiler, in die USA geschleust, muss sie sich dort erst einmal einer Geschlechtsumwandlung unterziehen.
Doch damit nicht genug - erst ein neues Hüftgelenk macht den Wandel zum "King of Rock 'n' Roll" perfekt. Als Spenderin muss die Bildungsministerin der DDR, Margot Honecker, herhalten. Denn die konnte "die verrücktesten Sachen mit ihrem Hüftgelenk anstellen, schließlich hatte sie früher geturnt".
Andreas Ältrich, the Godfather of Goth
Auch vor der Biografie von Andrew Eldritch, Sänger und Mastermind der Sisters of Mercy, macht Maelck nicht halt. Dieser wird kurzerhand zum depressiven, hageren Teenager Andreas Ältrich aus Schwedt an der Oder.
Als Ältrich sich für 25 Jahre bei der Nationalen Volksarmee verpflichtet, erscheint wieder einmal Strippenzieher Duttweiler auf der Bühne. Er nimmt Ältrich aka Eldritch unter seine Fittiche, um aus ihm einen "korrumpierten und genusssüchtigen Helden" zu machen, "dem der Hedonismus aus allen Poren kriecht".
"Satire auf gesellschaftliche Veränderungen"
Im Interview mit dem "Donaukurier" bezeichnet Maelck sein Buch als "Satire auf gesellschaftliche Veränderungen, die bis heute nicht vernünftig aufgearbeitet worden sind".
Um das zu diskutieren, "bedient es sich, völlig überhöht, eines Massenmediums", so der in Mecklenburg-Vorpommern geborene Schriftsteller.
"Der Stasi ist alles zuzutrauen"
"Wenn man sich anschaut, wie alte Stasi-Offiziere jetzt herumposaunen, dass sie keine Verbrechen begangen haben, wenn sich überall die Opfer scheinbar mit ihren Tätern ausgesöhnt haben, um überhaupt so etwas wie eine Biografie zu verspüren, (...) kann man gar nicht anders, als sich noch mal ein wenig lustig zu machen und die Geschichte ein wenig aufzublasen".
"Letztlich ist ja die These, dass denen bei der Stasi alles zuzutrauen wäre, also auch der Pop", so Maelck im Interview.
Amüsant bis zur letzten Seite
"Pop essen Mauer auf" ist ein hochgradig amüsantes Lesevergnügen - bis zum fulminanten Finale, in dem der Leser erfährt, wie es tatsächlich zum Fall der Deutschen Mauer kam.
Romana Beer, ORF.at
Buchhinweis:
Stefan Maelck, Pop essen Mauer auf. Wie der Kommunimus den Pop erfand und sich damit selbst abschaffte.
Rowohlt Verlag, 160 Seiten, 14,90 Euro
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