Die Stimmung unter den Fans ist aufgeladen. Auf dem Feld suchen die Spieler einen letzten Moment der Ruhe. Und plötzlich erhebt Tony Christie seine Faserschmeichlerstimme und fragt: "Is This the Way to Amarillo?"
Doris Day und Tony Christie
Es ist eines der großen Rätsel dieser Fußball-WM: Wie kam die Stadionregie in Berlin dazu, im hitzigsten Moment des Finales, in der kurzen Pause vor dem Elferkrimi, unvermittelt Weichspüler-Oldies wie "Que sera, sera" und Christies "Amarillo" einzuspielen?
Lag eine CD-Verwechslung vor? Hat sich der Stadion-DJ einen Scherz erlaubt? Oder war es angewandte Musiksoziologie, um unter den Fans für friedliche Partystimmung zu sorgen?
Steiniger Weg
Dass Musik aus ihrem bisherigen popkulturellen Kontext gerissen und in einen neuen Zusammenhang gestellt wurde, war jedenfalls ein wiederkehrendes Thema der Weltmeisterschaft. Xavier Naidoo dichtete etwa für die deutsche Mannschaft seine religionsphilosophische Abhandlung "Dieser Weg" um.
Und das Musikstück, das die Organisatoren nach jedem Spiel durch die deutschen Stadien dröhnen ließen, heißt zwar "Stand Up! (Champions Theme)".
Es handelt sich aber um nichts anderes als eine orchestrale Version des alten Disco-Knallers "Go West" - im Original von den Village People die ultimative Schwulen-Hymne über den 70er-Jahre-Traum vom liberalen Liebesparadies, in der noch berühmteren Coverversion von den Pet Shop Boys ergänzt um die Bedrohung dieses Traums durch AIDS.
Italiener grölen White-Stripes-Riff
Inhalte hin oder her, "Go West" ist ein Ohrwurm und hat eine Melodie, die Fußballfans in jedem Zustand mitsingen können. Ideal für die deutsche Fußballfete also - wie auch das charakteristische Gitarrenriff aus dem White-Stripes-Hit "Seven Nation Army", das erst zum AS-Roma-Schlachtengesang und jetzt zur Hymne aller Italien-Fans wurde.
Deutsche feierten "Italienische Nacht"
Ziemlich ungewöhnlich war auch die Wahl der Siegeshymne nach dem kleinen Finale: Die Stadionregie spielte ausgerechnet Gianna Nanninis "Un'Estate Italiana".
Sicher, das war der offizielle Song zur Fußball-WM 1990, als die Deutschen das letzte Mal den Titel holten. Doch wenige Tage nach dem Ausscheiden gegen die "Squadra Azzurra" den dritten Platz zu Nanninis "Italienischem Sommer" zu feiern - das hatte schon einen merkwürdigen Beigeschmack.
Doch vielleicht musste das so sein bei dieser WM, die von den Gastgebern gern als multikulturelle Wohlfühl-Party verkauft wurde und die sich vom klassischen Sportbewerb gegen Ende hin immer mehr zum multimedialen Entertainment-Event a la Super Bowl wandelte.
Show wie bei der Super Bowl
Wie bei Amerikas größtem Unterhaltungsereignis gab es vor dem Anpfiff des WM-Finales am Sonntagabend eine "Pre-Show" mit den Klassik-Poppern von Il Divo und der US-Soulsängerin Toni Braxton, die noch einmal den offiziellen WM-Song "Time of our lives" präsentierten.
Dann brachte der kolumbianische Popstar Shakira die 69.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion im roten, bauchfreien Outfit und im Duett mit Hip-Hop-Star Wyclef Jean in Partylaune. Und in der Halbzeitpause gab Startenor Placido Domingo mit großem Chor das von seinem Sohn komponierte Stück "Willkommen bei uns".
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