Die vor drei Monaten in den USA angelaufene Serie "Big Love", ein Familiendrama mit gelegentlichen Schwenkern Richtung Satire und schwarzer Komödie, ist die nochmalige Zuspitzung dieses Konzepts.
Surrealistischer Traum
Jede Episode wirkt wie ein surrealer, psychedelischer Traum, in dem etwa fundamentalistische Mormonen zum Kindergeburtstag mit Ponys in die Vorstadtidylle reiten und die drei Ehefrauen der Hauptfigur gemeinsam einen "Stundenplan" erarbeiten, wer an welchen Tagen den gemeinsamen Mann beanspruchen darf.
Bill braucht Viagra
Der Gag, dass der Mittvierziger Bill (Bill Paxton) da nicht mehr mitkann und sich Viagra verschreiben lässt, ist die seichte Ausnahme in der von der US-Kritik als vielschichtig gelobten Serie.
Dass Bill alle seine Frauen (Jeanne Tripplehorn, Chloe Sevigny und Ginnifer Goodwin) liebt (und seinen materialistischen Lebensstil noch dazu), nimmt man ihm ab; dass die Frauen die Liebe erwidern, ohne sich ausgenützt und unterdrückt zu fühlen, wirkt ebenfalls schlüssig.
Entsprechung im "echten Leben"
Die Parallelen des Umfelds der Serie zu der Sekte Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter Day Saints (FLDS) in Hildale, Utah, ist nicht zu übersehen.
Der englische "Guardian" hat jüngst Ross Chatwin interviewt, dem die Hauptfigur von "Big Love" nachempfunden sein könnte. Chatwin gehörte der Sekte von Warren Jeffs an. Auch die "Big Love"-Hauptfigur trat aus einer Sekte mit bösem Führer aus.
Eine von Chatwins Frauen hätte einem anderen Mann zugeteilt werden sollen, der "würdiger" sei. Er trat deshalb aus - samt seinen drei Frauen. Chatwin ist mit der TV-Serie nicht ganz einverstanden. "Die Vielehen an sich sind in Wahrheit nicht erzwungen, und auch das mit den Minderjährigen stimmt nicht."
Auch er selbst würde "nie eine Frau unter 18 heiraten. Vielehe kann etwas sehr Spirituelles sein. Du musst deine individuellen Gefühle für das Wohl der ganzen Familie opfern. Es geht dabei nicht um Sex - 'Big Love' liegt da komplett falsch. Polygamie ist einfach ein Lebensstil, so wie Schwulsein. Nur dass Homosexualität nicht natürlich ist."
Keine Idylle
In der Serie gibt es kleine Eifersüchteleien unter den Ehefrauen und den Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit, Probleme, die verbotene Familienkonstellation geheim zu halten, eine angedeutete Affäre zwischen der jüngsten Frau von Bill und dem Sohn aus der Ehe mit seiner ältesten, die Machenschaften im fiktiven Mormonen-Camp Juniper Creek sind ohnehin beängstigend.
Kurz: So heil, wie die polygame Welt am Anfang scheint, ist sie in der Serie nicht. Viel weniger noch ist sie es in der Realität, wenn man den US-Behörden und zahlreichen Medienberichten Glauben schenken darf.
Die Zwangsverheiratung von Minderjährigen steht demnach auf der Tagesordnung. Der Vorwurf des organisierten Kinderhandels wird derzeit untersucht. Und der absolute Herrscher Warren Jeffs bestimmt, wer mit wem verheiratet ist - und bleiben darf.
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