Aufräumen mit dem Mafia-Mythos
John Dickie räumt in seinem Buch "Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia" mit diesen Mythen auf. Er zeichnet darin die Entwicklung der "ehrenwerten Gesellschaft" in allen ihren Verästelungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nach.
Palermo als Wiege
Dickie setzt den Beginn der sizilianischen Mafia, der Cosa Nostra ("Unsere Sache"), in den 1860er Jahren in Palermo an. Damals marschierte der Berufsrevolutionär Giuseppe Garibaldi bei seiner Vereinigung Italiens auf der Insel ein.
Revolutionäre, aber auch Verbrecher aus dem Hinterland schlossen sich ihm an und überzogen das Land mit Anarchie und schafften den Sturz der verhassten Bourbonenherrschaft.
Im Anschluss daran gelang es kaum, das Chaos zu bändigen. Zu viele Freiräume und Altlasten verhinderten die Rückkehr zur Ordnung.
Symbol der Rückständigkeit
Damals hörte das Establishment erstmals von der Mafia. Sie wurde allerdings als ein Symbol der Rückständigkeit Siziliens, als eine Art Mentalität der Sizilianer, gewertet und nicht weiter beachtet.
Nicht einmal eine Nebensache
Vor allem das weit verzweigte System wurde nicht weiter ernst genommen; es sei nur eine regionale Erscheinung.
Man hatte andere Probleme: Italien war gerade dabei, zum Staat zu werden. Ein Mafia-Problem war damals nicht einmal Nebensache.
"Monopolisierung" des Zitronenhandels
Groß wurde die Mafia in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit der "Monopolisierung" des Handels von Zitronen.
Die riesigen Anwesen und Landgüter auf Sizilien waren damals berühmt für ihre Zitronen. Sie wurden in alle Welt und vor allem auch in die USA geliefert.
Aufbruch nach Amerika
Hier begann auch der Export der Cosa Nostra in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hielt diese Verbindung von Alter und Neuer Welt.
Nicht nur durch Geschäfte, sondern auch durch Heiraten wurden die Bande immer wieder erneuert und gestärkt.
Unterwanderung, Erpressung, Schutzgelder
Die Mafia versuchte ihre Mitglieder auf den Gutshöfen als Aufseher und Ähnliches zu etablieren und so auch den lukrativen. Zitronenhandel in ihre Hand zu bekommen.
Teils gingen die Landgüter durch Erpressung auch an die Mafia selbst über. Die Mehrheit musste Schutzgelder bezahlen.
Politiker wurden gekauft
Ab den 1890er Jahren wagte sich die Cosa Nostra dann an die Etablierung ihres Systems auch in der Politik. Politiker wurden einfach gekauft, sie saßen sogar in der italienischen Nationalversammlung.
Berichte ignoriert
Wiederum verhinderte das einen genauen Blick auf das System Mafia. Untersuchungen wurden hinausgezögert oder verliefen schlichtweg im Sand.
Immer wieder tauchten auch Berichte der Polizei über die Mafia auf. Sie wurden aber größtenteils ignoriert und nicht weiter behandelt.
Güter nicht selbst verwaltet
Dass die Landbevölkerung so arm war und daher der Mafia ausgeliefert, erklärt Dickie damit, dass die Großgrundbesitzer ihre Güter nicht selbst führten und überwachten.
Sie hielten sich großteils in Palermo oder Neapel auf und verpachteten ihre Güter an Mittelsmänner ("Gabelloti").
Wirtschaftlicher Druck
Die Pachtverträge hatten kurze Laufzeiten. So waren die "Gabelloti" gezwungen, möglichst viel Geld in kurzer Zeit aus den Bauern herauszupressen. Dem organisierten Verbrechen war damit Tür und Tor geöffnet.
"Sieg gegen die Mafia" im Faschismus
Erst unter dem faschistischen Regime Benito Mussolini ging man gezielt gegen die Mafia vor. Der "Krieg" begann am 1. Jänner 1926. Ein Belagerungsring wurde um die bekannte Mafia-Hochburg Gandi gezogen. Erst nach Wochen gaben die Mafiosi auf und stellten sich.
Man nahm rund 130 Justizflüchtlinge und Hunderte Komplizen fest. Wo sie sich in dem verwinkelten Dorf versteckt gehalten hatten, blieb größtenteils ein Rätsel. Die faschistische Presse machte daraus gar den Sieg über die Mafia.
Hinter den Kulissen
Doch die war noch keineswegs besiegt. Hinter den Kulissen ging sie weiter ihren Tätigkeiten nach und unterlief teils das neue System auf der Insel. Sogar unter Abgeordneten fand sie Gehör für "ihre Sache".
Blutige Kriege
Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnete sich für die Mafia durch die transatlantischen Verbindungen ein neues Geschäftsfeld: der Heroinhandel.
Dieser führte zu zwei blutigen Mafia-Kriegen und dem Beinahe-Ende der Organisation. Erst Ende der 1990er Jahre sollte sie sich davon wieder erholen - mehr dazu in "Der Kampf ums Heroin".
Peter Bauer, ORF.at
Buchhinweis
John Dickie, Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia. S. Fischer, 2006, 20,50 Euro.
Links:
- Cosa Nostra (Wikipedia)
- S. Fischer