Die Verknüpfung der beiden Bereiche erscheint also nur logisch. Und das obwohl Sigmund Freud persönlich wenig anzufangen wusste mit Musik, wie Klaus Theweleit bemerkt.
Bekannt durch "Männerphantasien"
Theweleit gab vor kurzem gemeinsam mit Martin Baltes das Buch "absolute(ly) Sigmund Freud. Songbook" heraus.
Bekannt geworden war der deutsche Literaturwissenschaftler und Soziologe von der Universität Freiburg in den späten 1970er Jahren mit seinem Doppelband "Männerphantasien". Darin zeigte er, welcher Typ Mann historisch besonders stark vom Faschismus angezogen wurde.
Nach zahlreichen anderen Veröffentlichungen, zuletzt auch zum Thema Fußball ("Tor zur Welt"), verfasste er nun das Liederbuch zum 150. Geburtstag von Sigmund Freud. Neben drei längeren Essays stehen die Texte von Popsongs im Mittelpunkt.
Im gleichen Feld der Gefühle
Das Verhältnis von Freud zur Musik war nicht das beste. "In der Musik bin ich fast genussunfähig. Eine rationalistische oder vielleicht analytische Anlage sträubt sich in mir dagegen, dass ich ergriffen sein und dabei nicht wissen solle, warum ich es bin und was mich ergreift", schrieb Freud 1914.
Obwohl er also selbst gar kein "Singmund" war, wie Klaus Theweleit kalauert, "kam der Pop zu Freud". Und zwar schon alleine deswegen, weil Psychoanalyse und Popmusik im gleichen Feld agieren, im Feld der Gefühle.
Neue Horizonte, neue Entwürfe
Von Anfang an befanden sie sich in Konkurrenz miteinander. Beiden geht es um neue Entwürfe von Personen und von der Welt. Wo Popmusik oder auch Kinofilme etwas taugen, schreibt Theweleit, da haben sie das gleiche Ziel wie die Psychoanalyse.
Beide wollen traditionelle Psychostrukturen erschüttern, Horizonte öffnen, neue Möglichkeiten aufmachen, Personen neu entwerfen.
Wünsche liegen in den Popsongs offen
Diese Konkurrenz begriffen die Analytiker bis heute nicht voll, meint Theweleit: "Ein Teil von ihnen denkt, die Elaborate des Trivialen seien Stoff für analytische Deutungen. Dabei 'deutet' das Triviale längst das persönlich Unterdrückte."
"In Popsongs liegen alle Abweichungen, Übertretungen, Perversionen offen zu Tage; kein Wunsch, der dort nicht Form geworden wäre."
In den "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" schrieb Freud: "Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in ihren Verirrungen." Für Theweleit kann der Satz genauso über einer Theorie der Perversionen stehen wie über den Produktionen der Popkultur.
Ödipale und schizoide Lieder
Zum Beweis der "Allgewalt der Liebe und ihrer Verirrungen in der Popmusik" trug er knapp 50 Lieder aus sieben Jahrzehnten zusammen: von Frank Sinatra und Cole Porter bis hin zu den Beatles und den Rolling Stones, von George Gershwin bis hin zu Guns N' Roses und den Ramones.
Darunter sind auch putzige Beispiele: Etwa der eher brachiale Kid Rock, der im Lied "Ödipus Komplex" das schwierige Verhältnis zu seinem Vater öffentlich macht. Oder die schwedische Popgruppe Abba, die sich in "Me and I" um ihre gespaltene Persönlichkeit sorgt und dabei Freud um Hilfe bittet - etwas, das auch Madonna vor kurzem in der Titelmusik zum bisher letzten James Bond Film "Die another day" getan hat.
Der Mann, der den Rhythmus klopft
Theweleit bleibt bei diesen offensichtlichen, oder offen hörbaren Überschneidungen von Popmusik und Psychoanalyse aber nicht stehen. Im dritten Essay seines Buches skizziert er eine "neue Theorie der Musik", die auf psychoanalytischen Annahmen beruht und sich Anleihen nimmt bei moderner Hirnforschung und Kognitionswissenschaft.
Freud ist theoretisch und praktisch noch immer aktuell, ist sich Theweleit sicher. Und er wird auch weiter eine Figur des Pop bleiben. Weil er aber selbst nicht auf dem Klavier oder auf der Gitarre spielt, wird er auch in Zukunft der Schlagzeuger hinter der Band sein, schreibt Theweleit - und der Mann, der den Rhythmus klopft.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Buchhinweis
Klaus Theweleit und Martin Baltes (Hrsg.), absolute(ly) Sigmund Freud. Songbook. Orange Press, 221 Seiten, 15,50 Euro
Links
- absolute(ly) Sigmund Freud. Songbook Orange Press
- Klaus Theweleit - Uni Freiburg