Angriffe von allen Seiten

Die Psychoanalyse steht auf einem wackligen Fundament, behaupten ihre Gegner.

  Am Mythos Sigmund Freud rüttelt die Wissenschaft von jeher gerne.

Die Psychoanalyse stehe mit dem Rücken zur Wand, heißt es auch im Jubiläumsjahr immer wieder. Das in Frankreich Ende letzten Jahres erschienene "Schwarzbuch der Psychoanalyse", ein Konvolut an Freud-Kritiken, war ein neuer Höhepunkt der Attacken gegen die freudianische Lehre.

Freuds Erbe in Gefahr?

Kritiker meinen, dass der Kampf um Freuds Psychoanalyse ein Rückzugsgefecht sei, da große Teile seiner Theorien bereits zur Genüge widerlegt seien.

Fehler und Unwahrheiten?

Der niederländische Wissenschaftstheoretiker Han Israels geht in seinem jüngsten Buch auf die Ursprünge der Psychoanalyse zurück. In akribischer Recherchearbeit hat er sich dem Phänomen Freud und dessen Lehre angenähert und so zahlreiche Fehler und Unwahrheiten aufgedeckt beziehungsweise zusammengefasst.

Warnung vor kritischer Lektüre

Bereits mit seinem Buch "Der Fall Freud" verursachte Israels ein mittelschweres Beben in der psychoanalytischen Bewegung. Der deutsche Verlag sah sich sogar genötigt, im Buch selbst eine Warnung vor dessen Lektüre abzudrucken.

Auch im neuesten Werk Israels', "Der Wiener Quacksalber", spricht der Autor von großen und kleinen Lügen des Begründers der Psychoanalyse - diesmal ohne Warnung des Verlags.

Grundbaustein nur eine Lüge?

Interessant ist etwa der Fall Anna O.: Freud und sein Kollege Josef Breuer wandten bei ihr erstmals die "Sprechtherapie" an, eine Vorstufe der Psychoanalyse, und beschrieben sie in den "Studien über Hysterie".

Freud selbst bezeichnete Anna O. als eigentliche "Begründerin der Psychoanalyse" und bediente sich ihrer gern als Beispiel für Therapie und Heilung.

Keine Heilung der Anna O.

Doch von einer Heilung Anna O.s konnte keine Rede sein, war sie doch nach dem angeblichen Therapieerfolg immer wieder in stationärer Behandlung psychiatrischer Kliniken.

Israels unterstellt Freud, dieses wichtige Detail absichtlich unterschlagen zu haben, um seine Theorien untermauern zu können.

Die Wahrheit zurechtgebogen

Generell scheint es Freud laut Israel mit der Wahrheit nicht sehr genau genommen zu haben. Befunde seien verdreht und verfälscht worden, um damit komplizierte Theorien begründen zu können.

"Quacksalber" unter Beobachtung

Israels bezeichnet Freud gar als Quacksalber, der "den Wert seines Materials künstlich steigert, indem er es Dritten zuschreibt". So kann es als erwiesen angesehen werden, dass Freud in seinem Hauptwerk "Die Traumdeutung" in Wahrheit zu 90 Prozent seine eigenen Träume analysiert - und nicht die von Patienten, wie die Lektüre nahe legt.

Ähnlich verfährt Freud laut Israels auch, wenn er mit Beispielen seine Theorien zu bestätigen versucht. So würden eigene Erlebnisse und Selbstbeobachtungen einfach seiner analysierten Klientel zugeschrieben.

Freud im Rausch: Das Kokain

Ein neues Licht wirft Israels auch auf die Kokain-Episode in Freuds Leben, die gern von seinen Anhängern verschwiegen oder zumindest heruntergespielt wird.

Freud schätzte Kokain als Allheilmittel für psychische und physische Beschwerden, verteilte das Pulver großzügig an Bekannte und Verwandte.

Selbst abhängig?

Er selbst nahm über einen langen Zeitraum höchstwahrscheinlich täglich eine nicht unbeträchtliche Menge des Rauschgifts zu sich.

In seinem Irrglauben an die wundersame Medizin Kokain behauptete Freud sogar, einen Freund in nur zehn Tagen von dessen Morphiumsucht geheilt zu haben.

Wider besseres Wissen

In Briefen an seine Verlobte Martha Bernays, den "Wivenhoe-Transkripten", gab Freud jedoch zu, dass es seinem Freund immer schlechter gegangen sei, dass er wieder vom Kokain abhängig geworden sei und zusätzlich wieder Morphium spritze.

Das hielt Freud nicht davon ab, weiterhin die vermeintlichen Vorzüge des Kokains zu propagieren und an seiner Art des Morphium-Entzuges festzuhalten.

Ungenauigkeit als Methode?

Israels wartet noch mit einigen Beispielen auf, die verdeutlichen sollen, dass Freud seine Theorien über Fakten und Wissenschaftlichkeit hob.

Ausführlich geht er auf die Studie über Leonardo da Vinci ein und nennt Freud einen Ignoranten gegenüber den Fakten. So gründe Freud seine Theorien auf eine Übersetzung, die nachweislich falsch sei, wie Israels bemerkt.

Geier oder nicht Geier?

So wurde das italienische Wort "nibio" mit Geier anstatt mit dem richtigen Milan übersetzt.

Obwohl Freud der Übersetzungsfehler sehr wohl bekannt gewesen sein musste, habe er ihn geflissentlich ignoriert, um unter anderem seine These von der vermeintlichen Homosexualität da Vincis sogar noch mit diesem Fehler zu bestätigen.

Im Buch stellt Israels einigen der elementaren Theorien Freuds historische Tatsachen und wissenschaftliche Fakten gegenüber und lässt kaum eine andere Interpretation zu, als dass es sich bei der Psychoanalyse um ein sehr vages theoretisches Gerüst handle.

So lautet auch der schärfste Kritikpunkt der Gegner Freuds, dass es sich bei der Psychoanalyse um keine Wissenschaft handle, sondern um ein verschwommenes Theoriegebilde, das sich so gut wie gar nicht bestätigen bzw. widerlegen lässt.

Chamäleonartige "Pseudowissenschaft"

Sir Karl Popper stellte dazu fest, "dass die psychoanalytischen Theorien von ganz anderer Art waren. Sie waren einfach nicht nachprüfbar, nicht widerlegbar." Er spricht der Psychoanalyse nicht ihre Bedeutung ab, vergleicht aber ihre Beobachtungen mit jenen von Astrologen. Auch in der Astrologie würden eigene, zweifelhafte Beobachtungen zur Bestätigung der Theorie dienen.

Demzufolge könnte man annehmen, die Psychoanalyse sei eine "Pseudowissenschaft", weil sie an sich nicht wirklich anfechtbar ist. Trotzdem sind einige Theorien heute überprüfbar und wurden widerlegt.

Träume sind Schäume

Die Traumtheorie Freuds mit seiner Wunscherfüllungsthese konnte von den modernen Neurowissenschaften empirisch nicht bestätigt werden. Das Träumen wird eher als normaler physiologischer Prozess betrachtet, in dem Erlebtes verarbeitet wird, als dass Wünsche in ihm manifestiert werden.

Dennoch stellt die Traumdeutung auch heute noch einen wesentlichen Bestandteil der Psychoanalyse dar.

Sex ist nicht alles

Ebenso gibt es kaum Belege für die universelle Gültigkeit der psychoanalytischen Entwicklungslehre, in der sexuelle Aspekte beim Kleinkind dominieren und somit die Persönlichkeit und mögliche psychische Störungen begründen.

Heute geht man davon aus, dass die Sexualität eine eher untergeordnete Rolle spielt und dass vor allem Erziehung und Umfeld die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern beeinflussen.

Die Lehre aus dem Jubiläumsjahr

Bei aller Kritik auf der einen und Verehrung auf der anderen Seite zeigt das Jubiläumsjahr jedenfalls eines: dass der Kampf um die Psychoanalyse noch lange nicht beendet ist.

Charis Oskandi, ORF.at

Buchhinweise

Han Israels, Der Wiener Quacksalber. Kritische Betrachtungen über Sigmund Freud und die Psychoanalyse. Bussert & Stadeler 2006, 184 Seiten, 14,90 Euro.

Le livre noir de la psychanalyse: Vivre, penser et aller mieux sans Freud. Les Arenes 2005, 830 Seiten, 26,41 Euro.

Freud und die Couch

Man mag Freud schätzen oder verachten - Eines ist unbestritten: Dass er durch seine Psychoanalyse Weltruhm erlangte. Das Symbol seiner Methode ist die Couch. In einem Special berichtet wien.ORF.at über die Bedeutung des Möbels für Freuds spezifischen Umgang mit Klienten.

TV-Hinweis

Am Freitag, dem 5. Mai, 21.30 Uhr: "Freuds Welt"

Wie hat Freud die Welt verändert? Freuds Werk übte schon früh einen breiten Einfluss aus: auf das Kino, die Werbung, die Kunst, das Alltagsleben, vor allem das der Amerikaner. Heute gilt Freud als die "Königinmutter" der humanistischen Psychologie.

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