Caravaggio und Rembrandt im Dialog

Die Ausstellung im Amsterdamer Van-Gogh-Museum ist einer der Höhepunkte des Rembrandt-Jahres.

  Als der gefeierte italienische Maler Michelangelo Merisi da Caravaggio am 18. Juli 1610 in der Hafenstadt Porto Ercole jung an einem mysteriösen Fieber starb, hatte der kleine Rembrandt van Rijn im niederländischen Leiden gerade seinen vierten Geburtstag gefeiert.

Ein erstes Treffen der beiden Giganten der Barockmalerei, die einander in Wirklichkeit nie gesehen haben, brachten das Amsterdamer Van-Gogh-Museum und das benachbarte Rijksmuseum in einer imponierenden Gemeinschaftsaktion zu Stande.

Einflüsse und Unterschiede

Drei Dutzend teils weltbekannte Gemälde, Leihgaben aus Melbourne wie St. Petersburg, setzen bis 18. Juni die zwei Künstler erstmals in einen Dialog, der die Einflüsse des Italieners auf Rembrandt, aber auch ihre Unterschiede zu einem Sehgenuss macht.

Plastisch und dramatisch

Ab etwa 1600 revolutionierte Caravaggio, berüchtigt auch für sein unruhiges Leben voller Schlägereien und Prozesse, in ganz Europa die Malkunst.

Sein "chiaroscuro", die aus imaginärer Lichtquelle gespeiste Hell-dunkel-Malerei, ließ die Gestalten aus Bibel, Mythos und Historie plastisch, die Szenen dramatisch werden. Reale Menschen zeigten in seinen Werken zum Entsetzen der damaligen Kritik all ihre Emotionen von der Liebe bis zum Blutrausch.

Dunkle Schatten

Rembrandt, dessen Zeit nach eigener Aussage "zu gefüllt mit Malerei" war, um je selbst in den Süden zu reisen, sah die umstürzlerische Kunst Caravaggios bei dessen Utrechter Schülern.

Ein Selbstporträt des erst 22-Jährigen, dessen Augen dunkel verschattet sind, ist eigentlich eher eine Studie zur Wirkung des Lichts als Erforschung seiner selbst.

Mord und Handgemenge

Weibliche Anziehung und blutrünstige Rache sind das Bindeglied bei Caravaggios "Judith und Holofernes" (um 1600) und der 1635 entstandenen "Blendung des Samson".

Statisch wie ein Filmbild wirkt Caravaggios Mordszene, das Gesicht der tapferen Judith spiegelt Entsetzen, gleichzeitig auch kalte Mordlust. Rembrandts mythologische Darstellung ist ein wildes Handgemenge, auf das ein gleißendes Lichtbündel fällt.

Jesus, Judas, Petrus

Den "Verrat des Judas" (1602) malt Caravaggio mit kalten Lichtreflexen auf den Rüstungen der Krieger.

Doch auch der ungläubigste Museumsbesucher dürfte vom Blick Jesu getroffen sein, den er in Rembrandts "Verleugnung Petri" (etwa 1660) aus einer dunklen Bildecke dem Apostel zuwirft, als dieser sich gestenreich im Mittelpunkt des Bildes von Christus abwendet.

Kälte und Emotion

Zwei Wochen, so schrieb Vincent Van Gogh, möchte er einmal vor Rembrandts "Jüdischer Braut" ausharren, die in der Ausstellung zu einer diskutierenden Maria Magdalena Caravaggios in Dialog tritt.

Während der Niederländer mit fast stofflicher Bildoberfläche Emotion, gar Wärme erzeugt, setzt der große Italiener auf kristallklare Komposition und malerische Glätte.

Der "Von einer Eidechse gebissene Junge" Caravaggios zeigt das Geschick, den richtigen, hoch emotionalen Augenblick zu bannen - und die Fertigkeit, Menschendarstellung und Stillleben in einem Bild zu verbinden.

Zwei Tabubrecher

Tabubrecher waren beide Künstler: Im "Raub des Ganymed" durch Zeus als Adler - die bekannteste homoerotische Szene der Zeit - zeigt Rembrandt 1635 den entführten Burschen satirisch als quengelndes und vor Angst pinkelndes Kleinkind.

"Omnia vincit Amor" nannte Caravaggio 1602 sein mythologisches Motiv, in dem ein ganz körperlich präsenter Liebesgott in knabenhafter, von sanftem Licht modellierter Nacktheit den Sieg der Liebe feiert.

Sein Hinterteil wendet er Musikinstrumenten, Zirkel und Kriegerrüstung als Emblemen bürgerlicher Bildung zu. Triebhaftigkeit und Sexualität, so die unmissverständliche Botschaft Caravaggios drei Jahrhunderte vor Sigmund Freud, besiegen eben einfach alles.

Gerd Korinthenberg, dpa

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