"Costa des Verbrechens"

Marbella gilt sogar unter "pensionierten" Mafiosi als ruhiger Rückzugsort.

  Marbella ist seit Jahren ein Treffpunkt der Reichen und Schönen. Nicht nur Ölscheichs, sondern auch Hollywood- und Showstars wie Julio Iglesias und Antonio Banderas legten sich in der Stadt an der Costa del Sol Ferienresidenzen zu.

Um die Idylle an der "Sonnenküste" in Südspanien ist es jedoch geschehen. Der Nobelbadeort ist zu einem Eldorado der organisierten Kriminalität verkommen.

Mafiaklans aus aller Welt

Mafiaorganisationen aus aller Welt treiben in Marbella ihr Unwesen. Nach Einschätzung des spanischen Innenministers Jose Antonio Alonso ist die Bedrohung, die von den Gangsterbanden an der Costa del Sol und anderen Teilen der Mittelmeerküste ausgeht, mit der Gefahr des islamistischen Terrorismus vergleichbar.

Welche Ausmaße die Bandenkriminalität angenommen hat, zeigte sich jetzt bei der Auflösung des Stadtrats durch die Regierung. 23 Verdächtige wurden festgenommen, darunter auch die Bürgermeisterin und ihre Stellvertreterin. Es geht um eine "verschwundene" Summe von rund 23 Mrd. Euro.

Mafiaort schon vor Jahrzehnten

Dabei hatte die Costa del Sol schon vor Jahrzehnten Kriminelle angelockt. Britische Gangster verprassten in Marbella ihre Beute, weil es zwischen Madrid und London kein Auslieferungsabkommen gab.

Seniorenparadies für pensionierte "Mafiosi"

Sie brachten der Küste damals den Beinamen "Crime Coast" ein. Mafiachefs aus Sizilien setzten sich hier zur Ruhe. Sie fielen jedoch nicht weiter auf, weil sie in Spanien gegen keine Gesetze verstießen. Marbella galt damals als eine der sichersten Städte in Spanien.

Banden aus Osteuropa

Das änderte sich in den neunziger Jahren, als sich ganze Gangsterbanden, vor allem aus Osteuropa, in der Gegend niederließen. Der Badeort verwandelte sich binnen kurzer Zeit in eine "Hauptstadt des Verbrechens". Die Ursachen liegen auf der Hand.

Mit dem - vor einem Jahr gestorbenen - Baulöwen Jesus Gil regierte in Marbella ein Bürgermeister, der selbst bis zum Hals in dunkle Geschäfte verwickelt war.

Zudem liegen Marokko, das größte Exportland von Marihuana und Haschisch, und die britische Kolonie Gibraltar, in den Augen der Spanier ein Geldwäscher-Paradies, in unmittelbarer Nähe.

Anonymität durch Tourismus

Der Strom des Massentourismus und die ausländischen Residenten - an der Costa del Sol leben etwa 30.000 Deutsche - garantieren den Bandenchefs Anonymität. Niemand fragt, woher das Geld kommt, wenn sich jemand einen Ferrari kauft und in bar bezahlt.

Villen mit Atombunker

"Entlang der Küste gibt es ganze Siedlungen, in denen nur Ausländer leben. Wer sind diese Leute? Wir haben nicht die geringste Ahnung", klagt ein Polizeibeamter. "Manche Luxusvillen haben Hubschrauberlandeplatz und Atombunker, aber die Eigentümer kennen wir nicht."

"So manche Leiche einbetoniert"

Der Baulöwe Gil machte Marbella zur größten Baustelle Spaniens. Nirgends wurde - pro Einwohner - so viel Beton verbraucht wie in dem Badeort. Pro Jahr entstanden 10.000 neue Wohnungen, viele davon illegal und finanziert mit Geldern aus dem organisierten Verbrechen.

"An der Costa del Sol bedeckt der Beton so manche Leiche", meint der Kolumnist Raul del Pozo. Kaum einer in Marbella zweifelt daran, dass der Bürgermeister und seine Getreuen bei dem Boom kräftig absahnten.

Die Schmiergeld-Rechnung

"Wo nur dreistöckige Häuser erlaubt waren, ließ man gegen Schmiergeld den Bau von sieben Etagen zu", erläuterte die Städtebau-Expertin Josefina Cruz. "Sogar Sportanlagen, Gärten und Parks wurden zu Bauland erklärt." Der Sonderstaatsanwalt für die Korruptionsbekämpfung, Carlos Castresana, meint: "Marbella ist eine Insel der Gesetzlosigkeit, eine Art von Wilder Westen, wo der Staat nicht hinkommt."

Von den fünf Städten Spaniens mit den höchsten Kriminalitätsraten liegen drei an der Costa del Sol: Marbella, Fuengirola und Torremolinos.

Hubert Kahl, dpa

 
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