Korruption nahm überhand

Erstmals in der Geschichte Spaniens wurde ein Stadtrat aufgelöst.

  Die spanische Regierung hat in Marbella erstmals einen Stadtrat aufgelöst, nachdem die Bürgermeisterin und weitere Vertreter der Stadtregierung im Zusammenhang mit einem Veruntreuungsskandal festgenommen worden waren.

Das Kabinett habe eine geschäftsführende Verwaltung für den Urlaubsort an der Costa del Sol ernannt und eine Neuwahl für den Mai kommenden Jahres festgelegt, sagte Spaniens stellvertretende Ministerpräsidentin Maria Teresa Fernandez de la Vega.

24 Mrd. Euro "verschwunden"

Das Kabinett habe sich zu diesem beispiellosen Schritt entschlossen, nachdem die Regionalregierung Andalusiens die Situation als unhaltbar beurteilt und einen entsprechenden Antrag gestellt habe. Insgesamt geht es der Polizei zufolge um eine Betrugssumme von 2,4 Milliarden Euro.

Bürgermeisterin in Haft

Vor einer Woche hatten Marisol Yagüe und Isabel Garcia Marcos noch im Rathaus von Marbella die Amtsgeschäfte geführt - die eine als Bürgermeisterin des südspanischen Nobelbadeorts, die andere als Stellvertreterin.

Nun teilen die beiden Frauen eine Haftzelle im Gefängnis vor den Toren der Hafenmetropole Malaga an der Costa del Sol. Ein Ermittlungsrichter hatte sie in Untersuchungshaft eingewiesen.

Die Stadtoberen sollen dem verzweigten Netz angehören, das mit Schmiergeldern und illegalen Geschäften Milliarden kassierte.

"Hauptstadt der Korruption"

Die Korruption in Marbella hatte solche Ausmaße angenommen, dass das Ferienparadies der Reichen und Schönen zu "Europas Hauptstadt der Korruption" geworden war.

Bauauftrag brachte Limousinen

Die 54-jährige Bürgermeisterin hatte sich nach Angaben der Ermittler erst kürzlich mehrere Luxuslimousinen von einem Unternehmer schenken lassen. Seine Firma erhielt dafür von der Stadt den Auftrag, falsch geparkte Autos abzuschleppen.

"Die blondierten Königinnen"

Die "blondierten Königinnen der Korruption", wie die Zeitung "El Mundo" die Stadtoberen unter Anspielung auf deren gefärbte Haare nennt, sind jedoch nicht die Schlüsselfiguren des Skandals.

Der "Pate" im Hintergrund

Als der eigentliche Drahtzieher gilt der 53-jährige Juan Antonio Roca. Er ist der Mann, der sich stets im Hintergrund hielt, aber der eigentliche Herrscher über Marbella gewesen sein soll. "Sein Wort war in Marbella Gesetz", schrieb die Zeitung "El Pais".

Roca war Ende der 80er Jahre als gescheiterter Unternehmer nach Marbella gekommen. Unter dem - 2004 gestorbenen - Bürgermeister Jesus Gil erhielt er die Zuständigkeit für die Baupolitik und entwickelte ein System, das nach der Devise funktionierte: Gegen entsprechende Schmiergelder erteilte die Stadt Baugenehmigungen, notfalls auch für ausgewiesene Sport- und Parkgelände.

Unter Bauherren kursierte der Spruch: "Die Hälfte des Schecks (für Bestechungen) ist für Roca."

Rocas Marionetten

Der Mann im Hintergrund zog auch die Fäden, als die politisch unbedarfte Marisol Yagüe 2003 zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Die Tochter eines Obsthändlers kam als "Strohfrau" des Baulöwen Gil ins Amt, der auf Grund eines Gerichtsurteils nicht selbst kandidieren durfte.

Da sie von der Politik wenig versteht, überließ sie die Amtsgeschäfte weitgehend ihrer Stellvertreterin Isabel Garcia Marcos.

Sozialistin erlag der Macht

Diese hatte zuvor jahrelang dem Bürgermeister Gil als Oppositionschefin das Leben zur Hölle gemacht. Aber irgendwann erlag die attraktive Sozialistin der Versuchung der Macht und schwenkte ins Lager ihres Erzfeindes über.

Sie wurde festgenommen, als sie mit ihrem zweiten Ehemann aus den Flitterwochen zurückkehrte. In ihrem Wohnhaus stellte die Polizei über 300.000 Euro Bargeld sicher.

Kiloweise Juwelen beschlagnahmt

Insgesamt nahmen die Ermittler 23 Verdächtige fest, darunter die Führung des Stadtrats. Sie konfiszierten Besitztümer im Wert von 2,4 Milliarden Euro, die höchsten Werte in der spanischen Kriminalgeschichte.

Dazu gehörten Herden von Zuchtpferden und Kampfstieren, kiloweise Juwelen, mehr als 300 wertvolle Kunstwerke, Dutzende von Luxusautos, ein Hubschrauber und ein Tiger.

Stadtverwaltung pleite

Während sich die Stadtoberen bereicherten, herrscht im Rathaus bittere Not. Die Stadtverwaltung von Marbella ist praktisch bankrott. Die Schulen haben kein Geld mehr für Putzdienste.

In der städtischen Bibliothek stellten die Bediensteten Plastikeimer auf, um das von der Decke tropfende Regenwasser aufzufangen. Für eine Reparatur des undichten Dachs fehlt das Geld.

Amtsenthebung "viel zu spät"

Die konservative Madrider Zeitung "ABC" schrieb über den Skandal: "Die Amtsenthebung der Stadtregierung von Marbella kommt viel zu spät. Das Ausmaß der Korruption in der Stadt war seit langem bekannt. Es ist absurd, dass einige Verantwortliche sich nun die Augen reiben und so tun, als wären sie überrascht."

In einem Rechtsstaat dürfe es keine Toleranz für die Korruption geben, denn die ethischen Fundamente der Legitimität stünden auf dem Spiel. Die Korruption demoralisiert Millionen von Bürgern, die sich an die Gesetze halten.

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