Ein Leiberl geht um die Welt

Der Weg eines T-Shirts als Paradigma der Globalisierung.

  Die komplexen Zusammenhänge der Weltwirtschaft, anschaulich erklärt: In ihrem Buch "Reisebericht eines T-Shirts - Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft" (Econ Verlag) geht die US-Wirtschaftswissenschaftlerin Pietra Rivoli mit einem simplen Leiberl auf Weltreise und damit der Globalisierung auf den Grund.

Idee bei Demonstration

"Woher kommen die T-Shirts mit dem Uni-Logo?" Diese Frage von demonstrierenden Studenten und Globalisierungsgegnern an der Georgetown University in Washington, an der Rivoli unterrichtet, hat das Interesse der Finanzexpertin am globalen Textilmarkt geweckt.

Im Zuge ihrer Recherchen für "Reisebericht eines T-Shirts" kaufte Rivoli in Fort Lauderdale in Florida ein billiges Souvenir-Shirt mit Palmenaufdruck und versuchte, dessen Herkunft zu rekonstruieren.

Herausgekommen ist eine detektivische Reise
durch eine enger zusammenrückende Warenwelt, in der ein Produkt bis zur Fertigstellung mehrmals den Globus umrundet.

Texas, Schanghai, Miami, Daressalam

Die Baumwolle kommt aus Texas - die USA sind bei dem Rohstoff noch immer Weltmarktführer -, gesponnen, gewebt und genäht wird in China, das Design und der Druck stammen aus Miami - vom offiziellen "Hersteller", der auf dem Etikett angegeben ist.

Und wenn sich die Besitzerin an den Palmen satt gesehen hat, reist das Leiberl als Second-Hand-Produkt weiter nach Afrika, wo etwa im tansanischen Daressalam der Altkleidermarkt boomt.

Mode mit Moral

Komplexe Abläufe wie diese sorgen bei den Kunden oft für Verunsicherung. Immer mehr Marken versuchen daher derzeit, Mode mit Moral zu verknüpfen und neue Zielgruppen mit "Sweatshop-freier" Kleidung zu versorgen.

"Kleidung ist ein emotionales Thema. Jeder hat ein T-Shirt und deshalb auch eine Meinung. Und viele Leute haben Bilder im Kopf von Sweatshops, unterdrückten Arbeitern und profitgierigen Weltkonzernen", so Rivoli im "Süddeutsche Zeitung"-Ableger jetzt.de.

"Aber Globalisierung bedeutet eben nicht, dass Nike, GAP und H&M dort produzieren lassen, wo es am billigsten ist. Der Prozess ist komplizierter."

Keine Horror-Sweatshops

Die Arbeitsbedingungen in den großen Kleidungsfabriken in und um Schanghai entsprächen zwar noch nicht westlichen Standards, berichtet Rivoli von ihren China-Besuchen, aber die weit verbreitete Vorstellung vom Horror-Sweatshop sei vollkommen übertrieben.

In den Fabriken arbeiten vor allem Frauen, die aus der chinesischen Provinz in die Metropole gekommen sind und für die ein Job in der Textilbranche mehr Unabhängigkeit bedeutet als die meisten anderen Tätigkeiten.

Und der als zwielichtiges Gewerbe verschriene Altkleidermarkt in Afrika biete in Wahrheit vielen Menschen Arbeit, Identität und Entwicklungschancen, argumentiert die Wirtschaftsprofessorin.

Spielball der Politik

Dass nach Rivolis Meinung "Globalisierungsverlierer" nicht Spielball des freien Marktes, sondern im Gegenteil von strengen Regulierungen sind, mag auf den ersten Blick kontroversiell erscheinen. Doch zumindest im Textilbereich kann die Wissenschaftlerin diese Ansicht recht schlüssig begründen.

Die ständig schrumpfende US-Textilindustrie hat es durch druckvollen Lobbyismus in Washington geschafft, über zwei Jahrhunderte Baumwollmarktführer zu bleiben. Möglich ist das nur durch Subventionen und ein undurchsichtiges System von Importquoten.

Von der protektionistischen Politik, die mit der offiziellen Bekenntnis zum freien Handel wenig zu tun hat, profitieren einzelne Großproduzenten, Arbeitsplätze in den USA wurden aber nicht gerettet.

Quoten stärkten kleine Länder

Stattdessen haben die Einfuhrquoten für "Textil-Großmächte" wie China und Indien ungewollt zu einer Stärkung kleinerer, unterentwickelter Länder wie Sri Lanka und Bangladesch geführt, wo so eine Handelsinfrastruktur aufgebaut werden konnte.

Wie sich die Lage für sie weiterentwickeln wird, ist unklar, seit China WTO-Mitglied ist, die Quoten fallen und beim WTO-Gipfel Ende letzten Jahres in Hongkong die Baumwoll-Exportsubventionen der Industriestaaten abgeschafft wurden.

Debatte am Problem vorbei

"Ich glaube, es ist klar, dass weder die Befürworter noch die Gegner der Globalisierung ganz richtig liegen", so Rivoli. Die Debatte konzentriere sich auf die Vorteile und die Tücken konkurrenzbetonter Märkte und die Auswirkungen auf die Armen, doch das sei der falsche Ansatz.

"Die Wirtschaft ist eingebettet in Regeln und soziale Strukturen. Wer diese Regeln schreibt und wie sie geschrieben werden - sprich: Politik -, ist wichtiger als der Markt, wenn man die Lebensgeschichte meines T-Shirts verstehen will. Nicht der Handel, die Politik definiert, wer gewinnt und wer verliert."

Buchhinweis

Pietra Rivoli, Reisebericht eines T-Shirts - Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft. Econ Verlag, Berlin 2006, 280 Seiten, 16,50 Euro.

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