"Seltsam, dass er einfach so starb"

UNO-Anklägerin Del Ponte: Auch Selbstmord noch nicht ganz auszuschließen.

  Eine Untersuchung soll klären, woran genau der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic gestorben ist. Um den Tod des 64-Jährigen am Samstag in seiner Zelle in Den Haag ranken sich bisher - neben der plausiblen Variante, der Herzkranke sei eines natürlichen Todes gestorben - zahlreiche Spekulationen.

Die Version, Milosevic habe sich seiner Strafe durch Selbstmord entziehen wollen, ist dabei ein Gerücht, das hartnäckig die Runde macht.

Die Obduktion wurde laut Angaben des Haager UNO-Kriegsverbrechertribunals Sonntagabend abgeschlossen. Bei Vorliegen der Resultate werde eine Erklärung herausgegeben, hieß es. Laut Medienberichten ergab die Autopsie, dass Milosevic an Herzversagen starb.

Selbstmord als "letzte Kampfansage"?

Die Chefanklägerin des UNO-Sondertribunals für das ehemalige Jugoslawien, Carla del Ponte, wollte am Sonntag die Möglichkeit eines Selbstmords nicht ausschließen.

Ein solcher könnte die "letzte Kampfansage" an das Kriegsverbrechertribunal, vor dem sich Milosevic seit 2002 in einem Prozess verantworten musste, gewesen sein, sagte Del Ponte der italienischen Zeitung "La Repubblica" (Sonntag-Ausgabe).

Sie betonte allerdings, dass dieses Gerücht keine wirkliche Grundlage habe.

Flucht vor der Strafe?

Als mögliches Motiv nannte auch die UNO-Chefanklägerin, dass sich der Prozess gegen Milosevic seinem Ende näherte und dieser möglicherweise seinem Urteil entgehen wollte.

Nicht der erste Selbstmord

Del Ponte wies auch darauf hin, dass sich erst vor einer Woche ein Häftling in dem UNO-Gefängnis das Leben genommen hatte. Das zeige, dass ein solche Handlung möglich sei.

"Seltsam, dass er einfach so starb"

"Natürlich möglich", sei aber auch, dass der an Bluthochdruck und Herzproblemen leidende 64-Jährige einfach eines natürlichen Todes starb, so Del Ponte. Doch sei es seltsam, dass "er einfach so starb, ohne dass seine Ärzte eine akute Verschlechterung seines Zustands bemerkten".

Klarheit über die Ursache von Milosevics Tod könne aber nur die Obduktion schaffen.

Anwalt: Milosevic plagten Mord-Ängste

Ein Gerücht, das sich auch am Sonntag nicht weniger hartnäckig hielt als die Selbstmord-Version, war das eines möglichen Mordkomplotts.

Milosevics Anwalt Zdenko Tomanovic hatte Belgrader Medien zuvor erklärt, dass ihn Milosevic am Freitagnachmittag über Befürchtungen informiert habe, dass man ihn im Gefängnis zu vergiften versuche.

Er habe aber beantragt, dass die Obduktion der Leiche Milosevics in Moskau und nicht in Den Haag vorgenommen werde, erklärte Tomanovic gegenüber dem Belgrader Sender B-92. Das UNO-Tribunal erklärte, das Ersuchen sei abgelehnt worden.

Serbischer Mediziner "überwacht" Obduktion

Das UNO-Sondertribunal stimmte allerdings der Forderung Belgrads zu, an der Untersuchung auch Pathologen aus Serbien-Montenegro teilnehmen zu lassen.

Die serbische Regierung verlange außerdem vom UNO-Tribunal einen detaillierten Bericht über die Todesursache, erklärte Ministerpräsident Vojislav Kostunica am Samstag.

Milosevic-Partei spricht von "Mord"

Der Bruder von Milosevic gab indessen dem UNO-Tribunal die Schuld am Tod des Ex-Staatschefs. "Die Verantwortung dafür liegt beim UNO-Tribunal", so Borislav Milosevic am Samstag.

Die Sozialistische Partei Serbiens (SPS), deren Vorsitzender Milosevic trotz seiner Haft bis zuletzt war, sprach sogar von Mord. "Milosevic ist in Den Haag nicht gestorben, er wurde ermordet", sagte der inoffizielle SPS-Chef Ivica Dacic.

Prozess lief seit 2002

Milosevic war seit Ende Juni 2001 in Den Haag in Haft. Seit Februar 2002 lief der Kriegsverbrecherprozess gegen ihn wegen der Bürgerkriege nach dem Auseinanderfallen des Vielvölkerstaates Jugoslawien zwischen 1991 und 1999.

Gesundheitlich schwer angeschlagen

Während seines Prozesses klagte Milosevic häufig über Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme, weshalb das Verfahren auch mehrmals unterbrochen werden musste.

Erst Ende Februar hatte das UNO-Tribunal einen Antrag seiner Pflichtverteidiger abgelehnt, ihn zur Behandlung in einer Spezialklinik vorübergehend nach Moskau zu entlassen. Das Gericht hatte die Befürchtung geäußert, der Angeklagte werde nicht zur Fortsetzung des Prozesses zurückkehren.

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