Das Elend der Rechtschreibreform

Die Schulbücher müssen aller Voraussicht nach wieder umgeschrieben werden.

  Für viele ist das Verhalten des Rates für deutsche Rechtschreibung unverständlich: Wieso wird nach fast zehn Jahren korrigiert, was von Anfang an auf Kritik gestoßen ist?

Und warum werden ausgerechnet Teile der Reform gekippt, die klare Regeln enthielten?

"Einheitlicher Wortakzent"

Die am Donnerstag von der deutschen Kultusministerkonferenz beschlossenen und auch in Österreich voraussichtlich ab Herbst geltenden Änderungen betreffen vor allem die Getrennt-/Zusammenschreibung und die Groß-/Kleinschreibung.

Generell gilt: Es soll wieder mehr zusammengeschrieben werden - vor allem dann, wenn ein "einheitlicher Wortakzent" vorliegt, etwa bei "abwärtsfahren", "aufeinanderstapeln" und "querlesen".

Alt und Neu im Vergleich

Die auf dem Wortakzent basierende Regel wurde auf einige Partikeln beschränkt - viele Fragen bleiben offen. In der alten Fassung hatte es hingegen klar geheißen, dass Elemente wie einander und -wärts und ihre Ableitungen immer getrennt vom folgenden Verb zu schreiben sind.

Wieder mehr Ausnahmen

Bei feststehenden Begriffen wie "der Blaue Brief", "der Runde Tisch", "das Schwarze Brett" soll wieder "dem allgemeinen Schreibgebrauch" gefolgt und großgeschrieben werden.

Die ursprüngliche Rechtschreibreform hatte dagegen weit weniger dieser Begriffe vorgesehen ("Heiliger Vater").

Gehrer rudert zurück

Österreich werde sich den Empfehlungen voraussichtlich ab kommendem Schuljahr anschließen, hieß es aus dem Bildungsministerium zuerst.

Am Freitag ruderte man aber schon zurück: Für die teilweise Änderung der Rechtschreibreform gibt es nun doch eine mehrjährige Übergangsfrist an den Schulen - zunächst war eine Toleranzfrist nur im kommenden Schuljahr geplant. Derzeit ist eine mindestens dreijährige Übergangsfrist im Gespräch.

Suche nach Konsens

Die genaue Vorgangsweise wird ab kommender Woche auf der Website des Bildungsministeriums bekannt gegeben. Zunächst wolle man aber versuchen, einen politischen Konsens darüber herzustellen, heißt es.

SPÖ will "Sonderweg"

"Ernsthaft über einen österreichischen Sonderweg" bei der Rechtschreibreform diskutierten will SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser.

Die nun vom Rat für deutsche Rechtschreibung erarbeiteten und von den deutschen Kultusministern angenommenen Änderungen trügen "unübersehbar die Handschrift des erzkonservativen 'Staatsministers a. D.' Zehetmair und konservativer Medien in Deutschland", so Niederwieser in einer Aussendung.

Vorbild Schweiz

Das Thema muss laut Niederwieser "schleunigst auf die Tagesordnung des parlamentarischen Unterrichtsausschusses gesetzt werden". Generell stellten die nun geplanten Änderungen "einige Schritte zurück im Kampf für eine praktische und leichter erlernbare deutsche Rechtschreibung" dar. Ein Sonderweg Österreichs sei kein Problem, so Niederwieser.

Einen solchen würde etwa die Schweiz mit der Komplettabschaffung des "ß" schon seit Jahrzehnten praktizieren.

Grüne: Abgehobene Bürokraten am Werk

"Völlige Abgehobenheit" wirft die Schulsprecherin der Wiener Grünen, Susanne Jerusalem, jenen vor, die die Reform der Reform ausgetüftelt haben: "Die Schüler sind erbarmungslosen Bürokraten ausgeliefert."

"Die Leidtragenden dieser verpfuschten Vorgangsweise werden vor allem die Schüler sein", so auch der Bildungssprecher der Grünen, Dieter Brosz.

Regierungsparteien beruhigen

ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon hält die Änderungen grundsätzlich für sinnvoll, plädiert aber dafür abzuwarten.

Bei einer neuerlichen Umstellung seien noch einige Punkte zu klären wie die Kostenfrage für neue Schulbücher, so BZÖ-Bildungssprecherin Mares Rossmann. Sie will österreichische Besonderheiten berücksichtigt haben - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Wer zieht mit?

Ob die Verlage den neuen Regeln folgen werden, ist unklar. So hatten der Axel Springer Verlag und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die umstrittene Rechtschreibreform von 1996 nicht übernommen.

Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen werden demnächst über einen gemeinsamen Vorschlag zur Umsetzung der Empfehlungen beraten.

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