Auf den Straßen von Marseille

Filmgangster als Vorbilder der Mädchengang "Gadji".

  Auswüchse der grassierenden Jugendkriminalität in Frankreich geraten immer öfter in die Schlagzeilen. Im letzten Herbst brannten landesweit die Vorstädte.

Kaum wurde der Notstand aufgehoben, entzündete sich zu Jahresbeginn die Debatte über die öffentliche Sicherheit mit der "Vandalenzug-Affäre" neu.

Terror im Zug

Randalierende Jugendbanden aus den Vorstädten Marseilles hatten am Neujahrstag 600 Bahnreisende auf ihrer Fahrt in einem Regionalzug von Nizza nach Lyon terrorisiert.

Zuletzt sorgte die brutale Folterung und Ermordung eines Pariser Juden durch junge Kriminelle aus dem afrikanischen Einwanderermilieu für internationales Aufsehen.

Acht Prozent sind Mädchen

Marseille gilt neben Paris und Lyon als besonders "heißes Pflaster" der Jugendgangs. Für immer größere Aufmerksamkeit sorgen hier Mädchenbanden.

Acht Prozent aller Akte von Jugendkriminalität in Frankreich werden heute von Mädchen oder jungen Frauen verübt, berichtet das ORF-"Weltjournal" am Mittwoch. Das scheint nicht allzu viel, doch die Zahl steigt.

Im Unterschied zu jungen Männern nahm die Zahl der straffällig gewordenen Frauen nach dem 18. Lebensjahr bisher allerdings wieder rapide ab.

Die Regeln der "Straßen-Gadji"

Völlig unkontrollierte Aggression, dann wieder bester Laune und fast unbeschwert - viele der Bandenmädchen reißt es zwischen zwei Rollen hin und her.

Die 18-jährige Fatima wohnt noch bei ihrer Mutter und gibt sich im Interview bisweilen mädchenhaft und sanft. "Straßen-Gadji", so lautet der Name ihrer Bande. "Gadji" heißt im Marseiller Dialekt Mädchen.

Niemals den Blick senken, selbst angesichts des Stärkeren - so lautet die wichtigste Regel der Mädchengang.

"Mag Handgreiflichkeiten nicht"

"Ich bin aus allen Schulen rausgeflogen. Dann bin ich in der Fürsorge gelandet. Jetzt bin ich draußen, hänge mit meinen Freundinnen herum und trinke, voila", schildert sie ihr bisheriges Leben.

Ihre Freundin Nadine erklärt ihr Verhältnis zur Gewalt: "Ich mag es eigentlich nicht, wenn man gleich handgreiflich wird. Mir ist lieber, wenn man die Sachen ausredet."

"Dann kracht es eben"

Warum es dennoch immer wieder zu Handgreiflichkeiten kommt, erklärt Nadine so: "Aber die Mädchen sind heutzutage so: Wenn man zu ihnen spricht, verstehen sie nicht. Um sich wichtig zu machen, müssen sie gleich schreien, mit den Händen fuchteln (...) Und das vertrage ich nicht. (...) Also nerven sie uns, machen uns zornig und dann gibt es Hass, wir verlieren den Kopf und dann kracht es eben."

Der Mythos des Gangsters kommt in den verarmten französischen Vorstädten gut an. Neu ist, dass diese Idole auch bei immer mehr Mädchen hoch im Kurs stehen.

"Scarface" als Vorbild

Eine der "Gadjis" - im Scarface-T-Shirt - schildert ihren Alltag: "Wir rauchen uns ein: morgens, mittags und abends, sieben Tage auf sieben, 24 Stunden auf 24."

Sie nennt sich Tonia - zu Ehren von Tony Montana, dem gewalttätigen Kokain-Dealer, den Al Pacino im amerikanischen Film "Scarface" darstellt.

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