Die Revolution als Traum | |
Heine zitierte die Revolution herbei, flüchtete im entscheidenden Moment in das unschuldige Reich der Kunst.
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"Denk ich an Deutschland in der Nacht/bin ich um den Schlaf gebracht." Was Heinrich Heine in seinen oft zitierten "Nachtgedanken" reimte, das müsste heute jeder deutsche Politiker in einer Stunde der Wahrhaftigkeit aus dem Stand unterschrieben. Heine trieb die Auseinandersetzung mit seinem Vaterland freilich in die Ferne. Es waren der Antisemitismus und der lange Arm der Zensur, die Heine aus Deutschland ins französische Exil fliehen ließen. "Es war ein Traum" Selbst die Konversion zum Christentum konnte Heine nicht jenen Status einräumen, von dem er stets geträumt hatte: dem eines Bürgers, der ohne Ansehung religiöser Hintergründe nur nach der persönlichen Leistung beurteilt wird und sich dadurch die - auch ökonomische - Stellung in der Gesellschaft sichern kann. "Ich hatte einst ein schönes Vaterland./Der Eichenbaum/Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft./Es war ein Traum", schreibt Heine retrospektiv in seinem Gedicht "In der Fremde". Vor 150 Jahren, am 17. Februar 1856, ist Heine auf der mittlerweile auch schon zur Legende gewordenen "Matratzengruft" in Paris gestorben. Spekulationen über Heines Krankheit Es waren lange Qualen, die der freiheitsliebende Heine bis zur Stunde seines Todes zu ertragen hatte. Woran Heine gesundheitlich litt, ist in der Forschung immer noch umstritten. Heine selbst dachte, die Spätfolgen der Syphilis hätten ihn seit dem Revolutionsjahr 1848 für immer ans Krankenbett gefesselt. Heine war in Paris ein berühmter Patient, dessen Krankenbett zum Anziehungspunkt von ebenso bekannten Zeitgenossen wie Friedrich Engels und Gerard de Nerval wurde. Heines Körper war zur selben Zeit Experimentierfläche für alle damals zur Verfügung stehenden medizinischen Techniken. Klarer Geist, gelähmter Körper Am ehesten, so meint Heine-Experte Bernd Kortländer, habe Heine an einer "mit Muskelschwund verbundenen Rückenmarkserkrankung" gelitten. Die Folgen waren, dass ein geistig völlig fitter Mann seinen Körper nicht mehr bewegen konnte. Heine selbst beschreibt seinen gesundheitlichen Zusammenbruch (der sich freilich schon lange davor abgezeichnet und zu zahlreichen Kuren geführt hatte) im Revolutionsjahr 1848 in pathetischen Worten. "Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich zum letzten Mal ausging und Abschied nahm von den holden Idolen, die ich anbetete in den Zeiten meines Glücks", so Heine, der im Bezug auf die eigene historische Bedeutung wenig Verlegenheit kannte: "Nur mit Mühe schleppte ich mich zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabnen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postament steht. Zu ihren Füßen lag ich lange und ich weinte so heftig, dass sich dessen ein Stein erbarmen musste. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: Siehst du denn nicht, dass ich keine Arme habe und also nicht helfen kann?" Der Geist der Revolution Neben dem Selbstmitleid schwingt auch eine Vorahnung zur Auswirkungen des revolutionären Geschehens mit. Heine, der liberale Revolutionär, der mit der Sozialbewegung des Saint-Simonismus liebäugelte, in seiner Heimat als Vertreter des Jungen Deutschlands verboten und dessen sozialkritische Lyrik im "Vorwärts!" von Karl Marx abgedruckte wurde, blieb letztlich skeptisch, was die Umsetzung politischer Utopien anlangte. "Finstere Bilderstürmer" Im Kommunismus sah Heine das Ende der schöpferischen Freiheit des Künstlers kommen. Im Vorwort zur französischen Ausgabe seiner Aufsatzsammlung "Lutetia" schreibt Heine: "Dass die Zukunft dem Kommunismus gehört, dieses Bekenntnis mache ich im Ton der Besorgnis und äußersten Furcht, und - ach! das war keineswegs Verstellung! Wahrhaftig, nur mit Schauder und Schrecken denke ich an die Zeit, da diese finsteren Bilderstürmer zur Herrschaft gelangen werden; mit ihren schwieligen Händen werden sie erbarmungslos alle Marmorstatuen der Schönheit zerbrechen, die meinem Herzen so teuer sind; sie werden all jene Spielereien und fantastischen Nichtigkeiten der Kunst zertreten, die der Dichter so liebte; sie werden meine Lorbeerhaine zerstören und dort Kartoffeln anpflanzen." Einzelkämpfer mit Verfolgungswahn Dass Heine nicht an gewaltsame revolutionäre Lösungen glaubte, zugleich aber auch das verstockte, dünkelhafte Bürgertum angriff, machte ihn zu einem Einzelkämpfer. Er war von den Konservativen in Deutschland gehasst und von den Linken in Frankreich kaum geliebt. Heine selbst kultivierte in diesem Mittelstatus zwischen allen Welten schwere Formen von Paranoia: Wurde er von einem Schriftsteller kritisiert, sah er gleich ein ganzes Komplott gegen sich am Werk. Viele Freundschaften, etwa die zu seinem Verleger Julius Campe, litten unter Heines Misstrauen. Selbst der Papagei von Heines Ehefrau bezahlte mit dem Leben dafür, weil Heine fürchtete, seine Frau liebe das Tier mehr als ihn selbst. Der Poet als Politiker Heines vielschichtiges und teils schwieriges Wesen bereitete der Forschung lange Zeit Probleme. Auf der einen Seite sah man in Heine den feinfühligen Ästheten, der sich selbst, wenngleich nicht ohne ironischen Seitenhieb als "letzten und abgedankten Fabelkönig" aus dem "Reich der Romantik" bezeichnet (Brief an Varnhagen von Ense, 3. Jänner 1846). Auf der anderen Seite stand der politische Denker, der eine Liberalisierung der Gesellschaft herbeisehnte, zugleich aber vor der letzten Konsequenz umstürzlerischer Politik zurückschreckte. Heine selbst besaß ein ausgesprochenes Sensorium für die eigene historische Stellung. Er war, wie Kortländer schreibt, "zutiefst überzeugt vom Bewusstsein, einer Übergangszeit anzugehören". "Um meine Wiege spielten die letzten Mondlichter des 18ten und die ersten Morgenlichter des 19ten Jahrhunderts", fasst Heine diesen Umstand nachträglich in poetische Töne. Im romantischen Ton gegen die Romantik Heines literarisches Verdienst war die Entzauberung der Romantik mit ihren eigenen Mitteln. Heine sprach in den Formeln der Romantik, um sie aber letztlich gegen romantische Grundsätze zu richten. Die Kunst als Leben: Diese romantische Position war Heine zutiefst suspekt. Die Wirklichkeit und das Träumen wurden in seinen Gedichten wieder bewusst auseinander gezogen. Der Abgrund des Traumes Der, der sich aus der Wirklichkeit floh, sollte in den Träumen einen Rückzugsraum finden. Und in den traumhaften Vorstellungen erkundete Heine stets auch die Abgründe der menschlichen Existenz. Leichtfüßig und verführerisch zitiert Heine etwa im "Buch der Lieder" 1823 den Tod herbei, und sei es im Zusammenhang mit der Entdeckung eines schönen, jungen Mädchens. "Innmitten in dem Blumenland Da sprach sie schnell: Sei bald bereit, Denken in Widersprüchen Von der Romantik übernimmt Heine die Vorliebe für Widersprüche - als geistiger Schüler Hegels integriert er Gegensatzpaare und Widersprüche in sein Denksystem und entwickelt gerade daraus seine utopistischen Vorstellungen. Der Sprung vom Ästheten Heine zum politischen Feuilletonisten ist kein so großer, wie die Heine-Forschung lange Zeit vermuten ließ. Mitunter scheint es freilich, als sei Heine von der politischen Sprengkraft manches seiner Verse selbst erschrocken, und nicht umsonst zieht er sich oft im Moment, da es um das Revolutionäre ginge, zurück, um das Schöne zu retten. "Ja in guter Prosa wollen Hier, im Reich der Poesie (Vorstufe zum Caput 3 des "Atta Troll") Gerald Heidegger, ORF.at Buchtipp:
Der Deutsche Taschenbuchverlag hat die Werke Heines in unterschiedlichen Ausgaben herausgebracht. Anlässlich seines 150. Todestages wurde die große kommentierte Heine-Ausgabe von Klaus Briegleb neu herausgegeben. Die Ausgabe ist eine Fundgrube für weniger bekannte Arbeiten Heines bzw. die Vorstufen zu seinen großen Werken wie den "Atta Troll".
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