Blutige Fantasien

Gefängnis oder Klinik - wohin mit dem "Kannibalen von Rotenburg"?

  Wenn den "Kannibalen von Rotenburg" künftig blutige Fantasien bedrängen, wird es schwer, die Notbremse zu ziehen. "Die Rückfallgefahr ist sehr, sehr groß", so der Kriminalpsychologe Rudolf Egg vergangene Woche.

Doch obwohl der 44-jährige Armin Meiwes an einer schweren seelischen Störung leidet, sitzt er in einem normalen Gefängnis und nicht in der Psychiatrie.

"Kaum zu begreifen"

Dass der Mann, der sein Opfer angeblich mit dessen Einverständnis vor laufender Kamera getötet, zerlegt und teils gegessen hat, trotz Wiederholungsgefahr nicht in einer speziellen Klinik behandelt wird, sei für viele Menschen kaum zu begreifen, meint der Kriminalist Stephan Harbort.

Der Knackpunkt: Meiwes gilt als voll schuldfähig. Bei der grausamen Umsetzung seiner Gedankenwelt im März 2001 war der Computerexperte durchaus zurechnungsfähig - das hatten ihm gleich zwei Gutachter bescheinigt.

Psychiatrie rechtlich nicht möglich

"Wenn jemand aber voll schuldfähig ist, kann er laut Strafgesetzbuch nicht im Maßregelvollzug untergebracht werden", erklärt Egg. Dort werden schuldunfähige oder vermindert schuldfähige Straftäter mit schweren psychischen Störungen oder Suchtkrankheiten behandelt.

Selbst Richter war unzufrieden

Vor zwei Jahren war selbst der Vorsitzende Richter in Kassel mit seinem Urteil unzufrieden: Meiwes sei im Maßregelvollzug besser aufgehoben, weil er dort die nötige psychiatrische Hilfe bekäme, betonte er. Doch die Beurteilung von Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit sind laut Egg zwei verschiedene Sachverhalte.

Ob jemand schuldfähig ist, hängt von seinem psychischen Zustand während der Tat ab; eine Aussage darüber, wie gefährlich jemand ist, reicht dagegen weit über den Tatzeitpunkt hinaus in die Zukunft.

Experte: Meiwes sollte in Therapie

"Es gibt eben Fälle, bei denen eine große Gefahr auf Grund einer schweren Störung vorliegt, das Gericht aber dennoch von voller Schuldfähigkeit ausgeht. Etwa dann, wenn die Tat langfristig geplant war und der Täter sehr kontrolliert vorgeht, nicht wie im Rausch", berichtet Egg.

Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll, Meiwes weder im Gefängnis noch in der Psychiatrie unterzubringen, sondern in einer sozialtherapeutischen Anstalt - einer Einrichtung des Strafvollzugs mit Therapieangeboten für schuldfähige, aber gefährliche Straftäter. "Auf freiwilliger Basis könnte er sich da bewerben, aber das ist in seinem Fall nichts, was ein Richter machen kann."

Kritik an neuem Prozess

Der Gießener Kriminologieprofessor Arthur Kreuzer kritisiert, dass der Bundesgerichtshof (BGH) Mordmerkmale bejaht, die zur Einstufung einer Tötung als Mord erfüllt sein müssen - Täter und Opfer hätten sich schließlich "einvernehmlich abgestimmt".

Kreuzer plädiert aber bei bestimmten, nicht vorbestraften Schwersttätern wie Meiwes dafür, die so genannte vorbehaltene Sicherungsverwahrung auszuweiten. Damit werden Täter auch nach dem Abbüßen ihrer Strafe nicht in die Freiheit entlassen, wenn sich die Rückfallgefahr durch das Verhalten in der Haft bestätigt.

"Wenn beim Ersturteil schon eine Wiederholungsgefahr wahrscheinlich ist, eine Unterbringung im Maßregelvollzug aber ausscheidet, sollte diese Maßnahme ergriffen werden können."

Meiwes jetzt "gefährlicher als vorher"

Mit einer Therapie verschwinde die kannibalistische Neigung zwar nicht, die Fantasien könnten aber Schritt für Schritt besser kontrolliert werden, erklärt Egg. "Es bleibt im Kästchen der Fantasiewelt gefangen, damit kann die Gesellschaft ganz gut leben."

Ein Kannibale wie Meiwes habe allerdings eine lange sexuelle "Lerngeschichte" hinter sich, warnt der Kriminalist Harbort. "Er hat jahrzehntelang in abstrusen Fantasien deliriert, und inzwischen ist er auch auf den Geschmack gekommen. Ich halte ihn für gefährlicher als vorher."

Julia Ranniko, dpa

 
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