Die Kunstwelt feiert an diesem Wochenende eines ihrer großen und zugleich fast verborgenen Jubiläen. Vor 500 Jahren wurde die weltberühmte Laokoon-Gruppe auf dem Esquilin in Rom gefunden.
In einer Zeit, da man den Geist der Antike wieder finden wollte, entdeckte der römische Bürger Felice de Fredis angeblich ausgerechnet jene antike Skulpturengruppe, die schon der römische Historiker Plinius im 1. Jh. n. Chr. erwähnte, in seinem Weinberg.
Fredis ließ die Gruppe in Sicherheit bringen - angeblich in sein Schlafzimmer. Davor hatten im Auftrag des Papstes zwei Kenner einen Blick auf das Kunstwerk geworfen: der Architekt und Antiken-Experte Giuliano da Sangallo und Michelangelo Buonarotti.
"Das ist der Laokoon, den Plinius erwähnt", soll Da Sangallo beim Anblick der Gruppe ausgerufen haben.
Papst kassiert die Gruppe
Eine nicht abreißende Schar an Kunstkennern und Schaulustigen zog es bald in das Haus des Finders, der sich noch im März des Jahres 1506 gezwungen sah, das gefundene Werk dem Papst zu übergeben.
Papst Julius II., dessen Pontifikat auch unter einer Sehnsucht nach der Zeit des Augustus stand, erhob die Gruppe zum persönlichen Eigentum. Fredis wurde freilich königlich für die Übergabe der Laokoon-Gruppe entlohnt: Er erhielt die Zolleinnahmen der Porta San Giovanni, unter dem nächsten Papst noch 1.500 Dukaten und ein Grabmal auf dem Kapitol.
Die Kunst zelebriert ihr Lieblingsstück der Antike
Für die Kunst war die Laokoon-Gruppe, die man heute auf das 1. Jahrhundert vor Christus datiert, das zentrale Fundstück, an dem man die Wiedergeburt der Antike zelebrieren wollte.
Malern wie Filippino Lippi, die sich vor dem Auffinden der Gruppe dem Laokoon-Thema widmeten, blieb alleine die schriftliche Überlieferung des Mythos, etwa die im 15. Jahrhundert zirkulierenden Virgil-Ausgaben.
Winckelmann und Lessing
Für den deutschen Johann Joachim Winckelmann wurde die Laokoon-Gruppe zum Kernpunkt seiner klassizistischen Kunsttheorie, über die Vorbildlichkeit, Anmut und Würde der antiken Künstler.
Als Winckelmann über die "große und gesetzte Seele" des Laokoon fabulierte, da hatte der Mann aus Stendhal die Gruppe selbst nur in den Stichen der Kunstbücher kennen gelernt.
Erst später reiste Winckelmann nach Italien, um im Belvedere des Vatikan Bekanntschaft mit den großen Skulpturen der Antike zu machen.
Lessing und der Laokoon
Der neben Winckelmanns Arbeit vielleicht wirkungsmächtigste Text zur Laokoon-Gruppe war wahrscheinlich Gotthold Ephraim Lessings "Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie" (1766), der noch Herder und Goethe in zahlreiche Kunstdispute verwickeln sollte.
Der Unterschied zwischen den Künsten
Lessing trennt darin als Erster die Wirkungsweise von bildender Kunst und Dichtkunst. Galt die Malerei davor als "malende Poesie" (frei nach dem Horazschen ut pictura poesis, also: die Kunst ahmt Natur nach, indem sie die Worte der Dichter in Bilder überträgt), so gestand Lessing der Malerei ein eigenes Wirkungssystem zu.
Wirkt die eine über natürliche Zeichen und den "fruchtbaren" Augenblick (Malerei), so wirkt die andere über willkürliche Zeichen und das zeitliche Moment (Poesie).
Wie anmutig ist der Laokoon?
Ob Laokoons Todeskampf freilich viel mit der von Winckelmann zelebrierten Anmut und Würde in Einklang zu bringen ist, das machte den Kunsttheoretikern des 18. Jahrhunderts schwer zu schaffen. Goethe freilich hatte die Lösung. In seinem "Laokoon" befindet Goethe, der Künstler des Laokoon habe "das sinnliche mit dem geistigen Leiden auf der höchsten Stufe dargestellt". Leiden in Maßen, daraus ergäbe sich Anmut und Schönheit.
Die Laokoon-Erzählung
Maßgeblich bestimmte den Laokoon-Mythos die Überlieferung von Vergil in der "Aeneis", wonach Laokoon mit den Trojanern am verlassenen Meeresufer stand und sah, dass die Griechen nichts außer einem hölzernen Pferd zurückgelassen hatten.
Laokoon warnte seine Mitbürger eindringlich davor, das vermeintliche Demutsgeschenk der Griechen anzunehmen. "Was es auch sein mag, ich fürchte die Danaer, selbst wenn sie Geschenke bringen." Bis heute ist das "Danaergeschenk" mit der Warnung des Laokoon verbunden.
Nach Laokoons Spruch steigen allerdings zwei große Seeschlangen aus dem Meer, welche Laokoons Zwillingssöhne (Antiphas und Thymbraios) umschlingen. Als Laokoon seine Söhne retten will, wird er selbst von den beiden Schlangen ins Meer gezogen und erwürgt.
Die Trojaner sahen darin ein göttliches Zeichen, weshalb sie fälschlich der Warnung Laokoons keinen Glauben schenkten und das Pferd zu ihrem eigenen Verderben in die Stadt zogen.
Marmorgruppe eine Replik
Als bedeutendste Darstellung des Todeskampfs Laokoons und seiner Söhne galt in der Antike die Laokoon-Gruppe der Bildhauer Hagesandros, Polydoros und Athanadoros aus Rhodos.
Noch in alten Kunstlexika wie Thieme/Becker wird davon ausgegangen, das die Gruppe der Künstler aus dem ersten Jahrhundert vor Chr. nach Italien kam. Wahrscheinlich aber ist, dass die in Rom gefundene Laokoon-Gruppe eine Marmorreplik aus dem 1. Jahrhundert vor Chr. ist.
Möglich, dass Plinius genau diese Gruppe beschrieb. Vielleicht gab es aber auch mehrere Laokoon-Gruppen. Wer weiß, was im tiefen Boden Roms noch vor sich hinschlummert.
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