Er galt als die "Sphinx im Elysee", war von allen gewählten Präsidenten Frankreichs der Fünften Republik der monarchischste, obwohl er eigentlich Sozialist war. Am 8. Jänner vor zehn Jahren starb Francois Mitterand im Alter von 79 Jahren.
Er litt, wie sein langjähriger Berater Jacques Attali erst kürzlich gegenüber "arte" bekannte, seit seinem Amtsantritt an Prostatakrebs, ein Umstand, von dem nur ganz wenige Menschen unterrichtet waren. Mitterrand hatte den Vorhersagen der Ärzte, die ihm schon 1981 nur wenige Monate zu Leben gaben, getrotzt. Die Macht hielt ihn sprichwörtlich am Leben.
Ein Interview zurzeit seines Amtsantritts, wonach er ein Mensch "frei von allen Zwängen" sei, gewinnt vor dem Hintergrund, dass Mitterrand eigentlich stets den Tod im Nacken hatte, ganz neue Bedeutung.
Mitterrand, der Libertin
 |
©Bild: AP |
Der brillant formulierende Libertin Mitterrand, der Gegner bespitzeln ließ und einen großen Teil seines Privatlebens von der Öffentlichkeit fern hielt (etwa seine geliebte, uneheliche Tochter Mazarine - zu der er sich erst knapp vor seinem Tod öffentlich bekannte), konnte spätestens im Elysee, meinen Beobachter, seine eigenen ethischen Ansprüche nicht mehr durchhalten.
Ein Mann vom Land
Mitterrand wurde am 26. Oktober 1916 Jarnac in der Charente geboren. Mitterand wird sich später als verbunden mit dem Landleben zeigen - über Jahrzehnte ist er neben seinem Politleben in Paris Bürgermeister der kleinen burgundischen Stadt Chateau Chinon. Paris und seine Gesellschaft, bekannte er später selbst, sei er immer mit einer gewissen "Distanz" begegnet.
Über Angouleme nach Paris
Mitterand wuchs als fünftes von acht Kindern in einer als provinziell-bürgerlich und liberal-katholisch beschriebenen Familie auf. Nach dem Besuch des College Saint-Paul in Angouleme studiert er ab 1934 in Paris, erwarb das Lizentiat der Rechte und der Literaturwissenschaft, ein Diplom in Öffentlichem Recht und ein Diplom der Ecole libre des sciences politiques.
Mitterrand wurde 1939 zum Kriegsdienst eingezogen, 1940 als Unteroffizier bei Verdun verwundet und geriet dabei in deutsche Gefangenschaft. 1942 konnte er fliehen.
Nach Frankreich zurückgekehrt, stand Mitterrand mit dem umstrittenen Regime des Marschalls Petain in Vichy in Verbindung - eine Zeit in seiner Biographie, über die er sogar seine engsten Berater, wie Jacques Attali, im Unklaren ließ. Erst in den 90er Jahren kam dieser Aspekt der Biografie Mitterrands öffentlich ans Licht.
Von Vichy zur Resistance
Nach den Monaten in Vichy schloss sich Mitterrand der Resistance an und gründet in ihr sein eigenes Netzwerk.
Noch im Untergrund ernannte General De Gaulle Mitterrand zum Generalsekretär für Kriegsgefangene, Deportierte und Flüchtlinge. Er nahm 1944 an der ersten Kabinettssitzung der provisorischen Regierung im befreiten Paris teil.
Abgeordneter im Parlament
Mitterrand wurde nach dem Krieg Abgeordneter im französischen Parlament, dem er bis zu seiner Wahl zum Präsidenten 1981 fast ununterbrochen angehörte.
Nach der Gründung der Fünften Republik bemühte er sich weiter um die Sammlung der demokratischen Linkskräfte gegen den konservativen Politiker De Gaulle, unterstützte dabei aber die Auflösung des französischen Kolonialreiches und die Algerienpolitik des Generals.
Führungsfigur der Linken
Trotz vieler Auseinandersetzungen im Linksbündnis blieb Mitterand die oppositionelle Führungsfigur. 1981 war es dann so weit: Nach vielen Anläufen gelang ihm durch den Sieg über den amtierenden Präsidenten Giscard d'Estaing der Einzug ins Elysee.
Die Rose im Pantheon
 |
©Bild: APA |
Mitterrand setzte im Moment seines Sieges auf große Symbole. Sein erster Weg führte ihn ins Pantheon, wo er an den Gräbern des Sozialisten Jean Jaures und des Resistance-Führers Jean Moulin eine Rose niederlegte. Sein Weg ins Elysee wurde zum wahren Triumphzug.
Sozialisten bringen Verstaatlichung
Neuwahlen zur Nationalversammlung, die Mitterrand sofort nach seinem Antritt ansetzen ließ, brachten ebenfalls einen Sieg der Sozialisten.
Innen- und wirtschaftspolitisch leitete die neue Linksregierung ein ganzes Bündel von kostspieligen Reformen ein und setzte Verstaatlichungen in Schlüsselsektoren durch.
Atommacht Frankreich
Außenpolitisch setzte sich Mitterrand konsequent für westliche Nachrüstung ein und ging auf Distanz zur Sowjetunion wegen der Besetzung Afghanistans. Mitterrand setzte auch stark auf eine autonome französische Nuklearverteidigung.
 |
©Bild: AP |
Lange, bevor er sich mit dem deutschen Kanzler Helmut Kohl an den Gräbern von Verdun die Hand zur Versöhnung reichte, zeigten auch auf deutsche Städte französische Atomraketen.
Problematische Außenpolitik
Nicht immer agierte Mitterand außenpolitisch glücklich. Im Libanon und im iranisch-irakischen Golfkrieg machte Frankreich eine schlechte Figur. Weltweites Aufsehen erregte 1985 ein Anschlag des französischen Geheimdienstes im Hafen von Auckland auf das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior".
Die Cohabitation
 |
©Bild: APA |
Nachdem die Sozialisten 1986 die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren hatten, war Mitterrand zur Cohabitation mit seinem politischen Gegner Jacques Chirac gezwungen.
Doch Chirac kam über den Schatten Mitterrands nicht hinaus. 1988 gelang Mitterand die Wiederwahl als Präsident; Chirac war klar geschlagen.
Übergabe an Chirac
 |
©Bild: APA |
Am 17. Mai 1995 übergab Mitterrand das höchste Staatsamt an seinen Nachfolger Jacques Chirac, der sich im Rennen um die Präsidentschaft durchsetzen konnte. Der Abschied einer Ära war mit dem Abtritt des "Monarchen" Mitterrand eingeleitet. Zahlreiche Großbauten in Paris zeugen heute noch von der Ära Mitterrands.
Die Abschied von der Macht bedeutete auch das Ende für den Menschen Mitterrand: Mitterrand ging bewusst dem Tod entgegen, am Ende verweigerte er eine Fortsetzung der Krebstherapie. Am Morgen des 8. Jänner 1996 schlief Mitterrand ein.
Die zwei Amtszeiten von Mitterrand
Mitterrand hatte die Franzosen fasziniert und polarisiert. In seiner ersten Amtszeit bis 1988 hatte Mitterrand wegweisende Reformen wie die Abschaffung der Todesstrafe und die Rente mit 60 durchgesetzt. Sein zweites Mandat endete eher trübselig mit Affären und Rechtfertigungen für sein Verhalten während der deutschen Besatzung im Krieg.
Zahllose Veröffentlichungen
Zum 10. Todestag Mitterrands erschienen einige Dutzend neue Werke. Gut 500 Buchtitel gibt es in Frankreich zu Mitterrand. Ein CD-Dreierpack mit Reden und Erklärungen gibt es für wahre Fans.
Mitterrand nutzte die Macht, für Frankreich und für Europa; er nutzte sie aber auch für seinen Clan und bei Frauen. Schlagzeilen über Schmiergelder im Elf/Leuna-Skandal stehen beispielhaft für die dunkle Seite der "Sphinx".
Doch gerade der katastrophale Zustand, den die Sozialisten im Augenblick abgeben, aber auch das Ansehen des jetzigen Präsidenten der Republik, lassen Mitterrand wie ein mächtiges Fossil aus einer anderen Zeit dastehen.
Links: